Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
mitgebracht.« Sie streifte zu meinem Entsetzen ihre Lackschuhe von den Füßen und sah mich prüfend an. »Wer sind Sie?«
    »Der Bruder«, nuschelte ich.
    »Wessen Bruder?« Sie wippte mit dem Fuß unruhig hin und her.
    Ich erklärte es ihr. Ihr Gesicht drückte leichte Ratlosigkeit aus.
    »Ein Rottweiler«, sagte ich, bevor sie fragte.
    »Haben Sie ihn gereizt?«
    »Ich habe ihn als Erster gebissen«, sagte ich.
    »Sie verderben sich die Augen, wenn Sie die Sonnenbrille in den Innenräumen aufhaben.«
    »Sagt meine Mutter auch.«
    »Hören Sie auf Ihre Mutter.« Sie holte eine Packung Zigaretten aus der Handtasche, drehte sie bedauernd in den Fingern und warf sie zurück.
    »Ist ein Nichtraucher-Haushalt, oder?« fragte sie mit forderndem Unterton in der Stimme. Wahrscheinlich dachte sie, wenn ich hier Sonnenbrille tragen durfte, dann war auch ihr alles erlaubt.
    »Hier lebt ein kleines Kind«, sagte ich so empört, als wäre ich die Lungenkrebs-Liga persönlich.
    »Ich weiß, ich weiß«, antwortete sie gereizt. »Was meinen Sie, warum ich da bin. Ich bin nervös.«
    Ich war auch nervös. Außerdem hatte ich Hunger, und meine Spiegeleier wurden ebenso kalt wie der Pseudo-Cappuccino. Aber zu essen, während die Frau nebendran auf der Ledercouch saß und mir zuschaute, ging über meine Kräfte. Mit dem Teller nach oben zu verschwinden kam mir unhöflich vor, und ihr von meinem mühsam zusammengesetzten Frühstück etwas anbieten wollte ich noch weniger.
    »Kann ich etwas für Sie tun?« fragte ich schließlich. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wie lange es bei den beiden noch dauert.«
    »Es dauert immer lange«, sagte sie. »Todesfälle sind zeitraubend, da brauchen Sie mir nichts zu erzählen. Ich muss trotzdem mit der Mutter sprechen.«
    Worüber, dachte ich. Sie las die Frage in meinem Gesicht.
    »Es geht um den Kleinen.«
    »Hat er was angestellt?« Ich versuchte, kollegial zu klingen.
    »Angestellt? Nein. Er ist ein unauffälliges Kind. Kann angeblich sogar schon schreiben, das glaube ich aber nicht. Jungs sind da langsamer. Ich muss Ihrer Schwester von der Trauerarbeit bei uns in der Einrichtung erzählen. So ein Tod betrifft nicht nur die Angehörigen.«
    »Ach«, sagte ich.
    »Wir sind erschüttert.« Sie holte ein gebügeltes und gefaltetes Stofftaschentuch heraus und hielt es gegen ihre Tränensäcke. »Ich weiß noch genau, wie Ihr Schwager vor mir stand …«
    Ich unterbrach sie nicht, um sie erneut über die richtigen Familienverhältnisse aufzuklären. Vielleicht hatte Tamara die gleiche Sonnenbrille, und die Frau hielt uns aus diesem Grund für blutsverwandt.
    »Aber heutzutage kann man viel tun, um die Familie aufzufangen.« Sie steckte das Taschentuch weg und wurde wieder sachlich. »Unser ganzes Team möchte Ihre Schwester in dieser furchtbaren Lage unterstützen. Sie soll wissen, dass sie jetzt nicht allein ist, und Frederic auch nicht.«
    »Ferdinand.«
    »Sag ich ja. Materielle Schwierigkeiten sind wahrscheinlich eher nicht zu befürchten?« Sie sah sich mit einer Aufmerksamkeit um, die mir gar nicht gefiel.
    »Keine Ahnung«, sagte ich. »Vielleicht hat mein Vater nichts als Schulden hinterlassen.«
    »Ihr Vater?« fragte sie. »Ist er auch tot?«
    Ich öffnete den Mund, aber in diesem Moment drehte sich der Schlüssel in der Tür.
    »Ich hab eine tolle, riesige Urne ausgesucht«, brüllte mir Ferdi zu.

    Wir hätten jetzt alle beinah gute Laune haben können, aber Frau Meyerling machte jeden Ansatz davon zunichte. Sie setzte eine Trauermiene auf. Dann lief sie mit ausgestreckter Hand auf Tamara zu, die weder damit gerechnet hatte, zu Hause Besuch vorzufinden, noch wusste, um wen es sich handelte. Sie erwiderte den Händedruck mit offenem Mund. In der anderen Hand hielt sie den linken Schuh, den sie bereits ausgezogen hatte. Der lange Absatz zielte angriffslustig in Frau Meyerlings Richtung.
    Frau Meyerling hielt den Moment für perfekt, um in Tränen auszubrechen. Ich dankte ihr im Geiste dafür, dass sie sich für mich nicht so viel Mühe gegeben hatte. Jetzt ging sie unter einigem Ächzen vor Ferdi in die Hocke. Er wich erschrocken ein paar Schritte zurück.
    »Darf ich dich umarmen, Frederic?«
    »Nein«, sagte Ferdi, und auch seine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Wir sind alle traurig.« Frau Meyerling schniefte zum Beweis. »Der ganze Kindergarten weint mit dir, Fred. Ich hatte deinen Papa so gern.«
    Ich lehnte mich gegen den Türpfosten und steckte die Hände in die Taschen, um

Weitere Kostenlose Bücher