Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
dem Musik tutete. »Frag nicht nach dem Sinn, Marek, es ist das Gesetz. Und nerv mich nicht mit dummen Fragen. Das mit den Zähnen geht, dauert dann aber zwei Wochen.«
»Geht nicht.« Tamara schüttelte den Kopf. »Ich halte es nicht so lange aus.«
»Was hältst du nicht so lange aus? Er bleibt noch eine ganze Weile tot«, sagte ich.
Claudia versuchte, mir den Mund zuzuhalten, und schlug mir beinah die Brille vom Gesicht. Tamara fixierte mit leeren Augen einen Punkt auf der gegenüberliegenden Wand. »Einer von uns kann mit dem Bestatter hinfahren, wenn er ihn … also den Körper … abholt.«
Meine Sohlen klebten an den Fliesen. Sie hatte das Gurkenwasser nicht aufgewischt, und die Scherben lagen herum. Ich fand einen Handbesen unterm Spülbecken und fegte sie zusammen.
»Ich kann es machen«, sagte ich. »Ich fahre mit dem Bestatter hin. Ich kann ihn identifizieren.«
Jedenfalls hoffte ich das. Wir hatten uns lange nicht gesehen, aber das musste die Schweizer Polizei schließlich nicht wissen. Ich würde mir eben vorher von Tamara ein aktuelles Foto geben lassen.
»Du bist noch ein Kind«, sagte Tamara mit tränenüberströmtem Gesicht. Ich fand, wenn hier einer wie ein Kind aussah – und sich auch so verhielt –, dann sie.
Ich sagte, dass mir sowieso kein Mensch mein Alter ansehe. Und dass das wohl für immer so bleiben würde.
»Du musst dich doch vor Ort ausweisen«, sagte Claudia müde. Aber sie lehnte es nicht sofort ab. Im Gegenteil, sie dachte über meinen Vorschlag nach, und so etwas wie Hoffnung flackerte in ihrem Gesicht auf. Wir ahnten längst, an wem die Aufgabe hängen bleiben würde, vierzehn Stunden Autofahrt auf sich zu nehmen, die Hälfte davon in Gesellschaft eines Sargs.
Ich fischte eine Essiggurke unter dem Küchenschrank hervor, spülte sie unter fließendem Wasser ab und steckte sie mir in den Mund.
Und dachte zum ersten Mal, seit ich hier angekommen war, wieder an Janne.
Claudia sollte um sechs Uhr morgens vom Bestatter abgeholt werden, um in die Schweiz zu fahren.
»Du musst Tamara helfen, ja?« sagte sie und kniff mich in die Wange. In der anderen Hand hielt sie eine Kaffeetasse, die sich immer wieder gefährlich neigte. »Ohne mich bist du der Mann im Haus.«
»Und wer bin ich mit dir?« Dirk fiel mir wieder ein, Claudia hatte ihn in den letzten beiden Tagen mit keiner Silbe erwähnt, ich fragte mich, ob ich mir Sorgen machen musste. Sie sah müde und abgekämpft aus, die kurzen Haare standen ab, unter den Augen lagen tiefe Schatten, bloß der Lippenstift war wie gewohnt grell und der Rock kurz. Ich küsste sie auf die Wange mit den durchschimmernden roten Äderchen.
»Pass auf dich auf«, sagte ich.
»Pass du auf sie auf«, sagte sie. »Und auf den Kleinen.«
»Jetzt übertreib’s mal nicht«, sagte ich. »Sie hat dir den Mann ausgespannt.«
»Und was hat sie jetzt davon?« Sie zog mir am heilen Ohrläppchen.
Ich stand in der Tür und sah zu, wie der lange schwarze Wagen vor dem Tor hielt. Sie winkte mir zu, bevor sie einstieg.
Ich hätte mich jetzt für ein paar Stunden wieder hinlegen können, stattdessen ging ich zum Kaffee-Spaceshuttle und drückte wieder auf ein paar Knöpfe. Die Lämpchen leuchteten, und abermals dampfte es los, aber diesmal konnte mich das nicht aufhalten. Ich zog den runden Filter heraus, wie ich es am Vortag bei Tamara gesehen hatte, und klopfte ihn über dem Abfalleimer aus. Fand die Tüte mit den ganzen Bohnen und schüttete sie in die Kaffeemühle. Dass sie allerdings so laut mahlte, hatte ich nicht bedacht. Jeder normale Mensch wäre bei dem Lärm aus dem Bett gefallen, doch im oberen Stockwerk blieb alles still.
Ich wunderte mich nicht mehr, warum Claudia es nach der Todesnachricht so eilig gehabt hatte, hierherzukommen. Ohne sie lief in Entenhausen gar nichts. Jetzt, da sie für einen ganzen Tag abgereist war, sah ich vor meinem inneren Auge, wie alles sofort auseinanderfiel. Wie Ferdi weinte, hungrig, ungekämmt und auch sonst total vernachlässigt, wie Tamara es nicht einmal für nötig hielt, aufzustehen, wie die Ordner mit den wichtigen Unterlagen im Altpapier landeten und das Haus plötzlich zusammenbrach und uns alle unter den Marmorplatten begrub. Ich sei jetzt der Mann im Haus, hatte Claudia zu mir gesagt, und das klang nicht nach Spaß.
Ich setzte mich auf den Küchenstuhl, nachdem ich weitere Broschüren für Trauergruppen vom Sitz gefegt hatte. Irgendwie dachte ich, dass Ferdi so etwas nicht brauchte. Ich
Weitere Kostenlose Bücher