Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
sie gurgeln und ausspucken, irgendwas zischte, und als sie zurückkam, roch sie nicht mehr nach Frau, sondern nach Drogerie. Keine Ahnung, wer wen zuerst küsste, aber unsere Münder verbissen sich so heftig ineinander, als könnte einer etwas für den Kummer des anderen. Ich hörte den Teddybären knurren und dachte, dass er vielleicht doch ein echtes Tier war. Ich kam erst wieder zu mir, als Tamara mir den Mund zuhielt.
»Nicht so laut. Das Kind.«
Ich lag neben ihr auf dem Rücken und schnappte nach Luft, drückte mir mit der flachen Hand auf die Kehle, weil ich plötzlich nicht mehr einatmen konnte. Ich bäumte mich panisch auf. Tamara half mir, mich aufzusetzen, und stützte mich von hinten.
»Schön weiteratmen«, sagte sie, und es klang viel weniger freundlich als alles, was ich in den letzten Tagen von ihr gehört hatte. »Du stirbst nicht, du hattest einfach …«
»Sei still«, unterbrach ich sie mit dem ersten Atemzug, den ich wieder nehmen konnte. Am wenigsten war mir danach, irgendwas mit ihr zu besprechen. Ich legte mich wieder hin und schloss die Augen. Tamara roch schon wieder anders, nach Frau und Mann gleichzeitig. Sie roch nach mir.
Weil ich nicht wusste, ob ich mich entschuldigen oder bedanken sollte, blieb ich einfach liegen. So lange, bis ich hörte, wie sie aufstand und ins Bad ging. Als das Wasser zu rauschen begann, wollte ich auch aufstehen.
Als ich wieder aufwachte, war das Haus still wie in der Nacht. Der Radiowecker am Kopfende zeigte kurz nach vier Uhr nachmittags. Ich sprang aus dem Bett, sah an mir herunter und erinnerte mich an alles. Ich schnappte mir im Vorbeilaufen ein gallengelbes Badetuch, das von der Türklinke herunterhing, und wickelte es mir um. Dann rief ich nach Tamara und Ferdi, und es kam keine Antwort.
Ich stieg die Treppe in den Salon herunter und setzte mich kraftlos auf die Couch. Das hatte ich schon mal sehr gut gemacht: Claudia war gerade abgereist, und schon hatte ich mich an der Witwe meines Vaters vergriffen und den Rest des Tages verschlafen. Wenn ihnen jetzt etwas Schreckliches widerfuhr, sie zum Beispiel vor einen Lkw liefen, weil Tamara durch dieses Erlebnis noch verwirrter war als vorher schon, wäre alles allein meine Schuld. Ich mochte entstellt sein, aber nun hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es nicht genug war. Für den Scheißhaufen, als welchen ich mich empfand, war ich immer noch unangemessen hübsch. Ich drehte mich um und rammte die Faust in die Raufaserwand hinter der Couch. Die zerfetzte Haut an meinen Knöcheln verschaffte mir ein wenig Erleichterung.
Mein leerer Magen grummelte, und auf dem Weg zum Kühlschrank schrillte das Telefon los.
Es war nicht mein Handy, sondern das Festnetztelefon, und ich fand nichts dabei, meinen Nachnamen in den Hörer zu husten.
»Hier auch«, antwortete Tamaras Stimme gereizt. »Ausgeschlafen? Wie ist deine Deutschnote? Was heißt ganz gut? Dann komm her und hilf mir.«
»Mit dem Taxi?« Ratlos zog ich das Badetuch höher, als würde mich jemand beobachten.
»Mit dem Fahrrad«, sagte Tamara. »Und bring Ferdi eine Banane mit.«
Ich zog mir hastig wie ein Feuerwehrmann beim Einsatz die frischen Klamotten über den ungewaschenen Körper, immer wieder die Adresse wiederholend, die Tamara mir gesagt und die ich mir in Ermangelung eines Stifts nicht notiert hatte, sondern merken musste. »Neben dem Rathaus, kennt jeder«, hatte sie gegrummelt, als ich sie nach dem Weg gefragt hatte.
Drei Fahrräder in der Garage waren platt. Bloß das letzte, ein altes rostiges Damenrad, schien noch etwas Luft in den Reifen zu haben. Ich stieg drauf und trat in die Pedale. Wo das Rathaus war, konnte ich mir noch ungefähr vorstellen. Weiter hätte ich mich durchfragen müssen, ich freute mich schon drauf.
Unterwegs kam ich an einem Edeka vorbei und bezahlte schnell ein Kilo Bananen an der Kasse, die ich beim Fahren in einer Hand balancieren musste. Aber wenigstens der Weg war wirklich so einfach, wie Tamara es behauptet hatte. Zeitgleich mit dem Rathaus sah ich den Schriftzug der Lokalzeitung ein paar Häuser weiter. Ich parkte das rostige Ungetüm am Fahrradständer und lief, mit den Bananen bewaffnet, hinein. Tamaras Stimme nach zu urteilen war es ein ziemlicher Notfall.
Sie saß mit zwei Männern an einem abgeschabten runden Tisch und stritt mit ihnen, über irgendwelche Papiere gebeugt. Hinter ihnen erstreckte sich ein Großraumbüro, in dem alle gleichzeitig telefonierten. Als ich näher kam,
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