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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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sah ich, dass vor Tamara auf dem Tisch Entwürfe von schwarz umrandeten Rechtecken lagen. In den dicken Rahmen befanden sich Blätter mit abgeknickten Rosen, brennenden Kerzen, gebrochenen Herzen, umrankten Kreuzen, gestapelten Steinen. Fotos von Wäldern und Gewässern. Und auf all diesen Ausdrucken sah ich zuerst meinen Nachnamen, bevor der Blick auf den Vornamen meines Vaters fiel.
    »Was meinst du, Marek, lieber ein Foto?« fragte Tamara, als würde sie ein bereits begonnenes Gespräch fortsetzen.
    »Wo ist Ferdi?« fragte ich, weil mein Arm vom Tragen der Bananen langsam schwer wurde.
    Tamara deutete hinter sich. Ich entdeckte Ferdi auf dem Boden, ebenfalls über ein Blatt Papier gebeugt. Er zeichnete. Sehr gut, dachte ich, das ist ja fast wie in der Trauergruppe.
    »Ein Foto?« wiederholte sie ungeduldig.
    »Um Himmels willen, Tamara.«
    »Was dann? Im Katalog sind so viele Bilder. Ich kann mich nicht entscheiden.«
    »Ich würde es ganz ohne machen.«
    »Mit kostet auch nicht mehr, Marek.«
    Die beiden Herren in Anzügen, einer mit Brille, einer ohne, sahen zwischen uns hin und her.
    »Man kann auch ein Foto von ihm nehmen, als er noch jünger war …«
    »Tamara!«
    »Kreuz ist immer gut, aber er war echt nicht sehr religiös …«
    »Ich bitte dich!«
    »Rose ist eher für Frauen, denkst du nicht? Und Kerze für alte Leute?«
    Claudia, komm zurück, dachte ich. Verhindere all die Fotos, Kreuze und Kerzen. Entwirf einen Text für eine Todesanzeige, für die sich keiner schämen muss. Bitte!
    Aber sie war mit dem Leichenwagen unterwegs, um ihren toten Exehemann nach Hause zu bringen. Sie konnte nicht bei der Entscheidung helfen, ob Ranken aus Eichen- oder lieber doch aus Ahornblättern besser zu meinem Vater passten. Ich musste da allein durch.
    »Tamara«, sagte ich. »Du bist eine tolle Frau. Kann ich dich um was bitten?«
    Sie sah misstrauisch zu mir auf. Die beiden Herren wechselten Blicke.
    »Kannst du bitte einen kleinen Spaziergang machen? Ich erledige das hier.«
    Sie sah mir in die Augen. Ich hielt dem stand. »Bitte«, sagte ich.
    Sie machte »Pfft«, und dann zischte sie aus dem Raum, als wäre jemand hinter ihr her. In den Gesichtern der beiden Herren stand die Erkenntnis, dass der Ärger, den Todesfälle verursachten, das von ihnen ebenfalls verursachte Geschäft manchmal einfach nicht wert war.
    »Einen Augenblick bitte«, sagte ich.
    Ich ging zu Ferdi und reichte ihm eine Banane über die Schulter. Er nahm sie ohne hinzusehen und schälte sie. Den Stift hielt er in den Zähnen, zum Abbeißen spuckte er ihn aus. Er hatte jede Menge verborgener Talente, unter anderem war er ein Turbo-Bananenesser. Wenigstens ein paar Vitamine und ein bisschen Magnesium, dachte ich. Trauer-Grießbrei alleine ist auch nichts.
    Die dritte Banane gab ich nicht so leicht her.
    »Du musst mir erst helfen, Ferdi«, sagte ich. »Ich sehe, du kannst ganz toll zeichnen. Mal ein Bild von deinem Papa. Und meinem. Und dann kannst du alle Bananen haben.«

          Zum Abendessen hatte Tamara Würstchen gekauft und Kartoffeln gebraten. Mich wies sie an, Gurken für den Salat zu schneiden. Ich schnitt sie ihrer Meinung nach zu dick. Also musste ich die Scheiben in feinere säbeln. Sie trug eine Schürze und tat ganz geschäftig. Ferdi saß auf seinem Kinderstuhl, den Kopf auf die Arme gelegt.
    »Ne spi, Ferdi, chas budem kushat«, sagte Tamara zu Ferdi.
    Er reagierte nicht.
    »Vielleicht kann er gar kein Ukrainisch«, sagte ich.
    »Kann ich doch auch nicht richtig«, sagte Tamara.
    »Warum sprichst du es dann?«
    »Es ist Russisch, Intelligenzbestie. In der Ukraine gibt es viele Russen. Das Kind soll seine Muttersprache kennen.«
    »Wieso?«
    »Weil.« Sie ließ den Holzlöffel fallen, mit dem sie die Kartoffelscheiben in der Pfanne umgedreht hatte, und setzte sich auf den Hocker. »Ich kann nicht mehr«, sagte sie, und dicke Tränen kullerten schon wieder über ihre Wangen.
    Ich sah sie an. Dieses nasse Gesicht, die Tropfen, die an ihren Wimpern hingen. Sie war ein kleines Mädchen, völlig egal, wie alt sie wirklich war. Manche Frauen blieben ein Leben lang kleine Mädchen, andere wurden schon alt geboren. Sie war jünger als ich, sogar jünger als Janne. Und mein Vater hatte sie ganz allein im dunklen Wald zurückgelassen.
    »Ich kann nicht mehr«, wiederholte sie. »Ich will, dass er wieder da ist.«
    »Ich würde ihn dir zurückbringen, wenn ich könnte.«
    »Ach nein.« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Ich

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