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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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gleichzeitig um. Mein Vater lag im Sarg, neben ihm brannte eine meterhohe weiße Kerze, und ich dachte, dass wir ihn jetzt für immer zurücklassen mussten. Ferdi sah ihn mit verdrehtem Hals an, auch dann noch, als wir bereits durch die Tür in die Sonne getreten waren. Er drehte sich immer wieder um, bis die Tür zufiel. Der Bestatter wartete mit gefalteten Händen neben einem Steinengel und vermied es rücksichtsvoll, in unsere Gesichter zu sehen.
    Wir verabschiedeten uns und gingen. Es war sehr warm, die Sonne leuchtete von oben in den Spalt zwischen Brille und Gesicht auf meine Augenlider, die Schritte federten auf dem Asphalt, und ich stellte erstaunt fest, dass Tammy recht gehabt hatte. Mir war so leicht ums Herz wie schon lange nicht mehr.

          Claudia sagte, ich bräuchte keinen schwarzen Anzug. Tammy behauptete das Gegenteil.
    »Du wirst obersüß aussehen«, sagte sie, Claudias vernichtende Blicke ignorierend. »Wie oft stirbt dein Vater schon?«
    »Er ist noch ein Junge.« Claudia hatte die Stimme eines erschöpften Generals, der noch eine letzte Schlacht gewinnen und dann zusammenbrechen will. »Er braucht keinen affigen Anzug. Er kann eine schwarze Jeans tragen.«
    »Er ist ein Mann.« Tammy verstrubbelte mir die Haare. »Ferdi ist auch ein Mann. Er kriegt auch einen Anzug.«
    Claudia seufzte. Jetzt verhielt sie sich so, wie man es von einer Exfrau gegenüber ihrer Nachfolgerin erwartete. Sie war genervt. Sie verdrehte die Augen. Sie hat keine Kraft mehr, dachte ich. Dass sie all das vorher nicht getan hat, war ein Wunder der Selbstbeherrschung, das zu wenig gewürdigt wurde.
    »Bald ist es vorbei«, sagte sie und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, nachdem Tammy wütend abgerauscht war, um in der Garage irgendwelche Müllsäcke zu sortieren, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. »Nach der Beerdigung geht es besser.«
    »Warum?« fragte ich.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ist immer so.«
    »Es ist kein Problem für mich, einen Anzug zu tragen. Ich habe überhaupt keine schwarze Jeans.«

    Wir gingen einkaufen, Claudia und ich, nur wir beide, als wäre ich noch so alt wie Ferdi. Es gab nicht viele Möglichkeiten. Der eine Laden am südlichen Marktplatzrand verkaufte Übergrößen, der am nördlichen führte alles von Zahnstochern bis zur Unterwäsche, und in der letzten, nach Osten ausgerichteten Boutique probierte ich Hosen an. »Wir könnten auch nach Frankfurt zum Einkaufen fahren«, hatte Claudia vorgeschlagen, aber ich hatte nur abgewunken.
    »Claudia«, sagte ich leise, als ich aus der Kabine kam. Sie wartete mit geschlossenen Augen, auf einem Hocker sitzend, gegen die Wand gelehnt. Ich rief sie noch einmal, sie reagierte nicht. Erst dachte ich, dass sie der Schlag getroffen hatte, aber sie war einfach nur eingeschlafen.
    Ich atmete aus und wischte mir mit der Hand übers Gesicht. Claudia öffnete die Augen und lächelte.
    »Du siehst gut aus«, sagte sie.
    »Danke. Sitzt auch gut.«
    »Nein, alles zusammen ist wirklich klasse. Schau dich mal an.« Sie deutete auf den hohen Standspiegel und spähte von unten in meine Augen.
    »Danke, nein«, sagte ich.
    Ihr Gesicht verzog sich, als wäre ich ihr mit voller Absicht auf den Fuß getreten.
    »Es tut mir leid, Claudia, aber ich werde es nicht tun«, sagte ich. »Ich will mich nie wieder ansehen. Verstehst du, nie wieder. Du brauchst mich gar nicht danach zu fragen. Und es ist okay für mich. Ich führe ein absolut ausgefülltes Leben, ich trage meinen Vater zu Grabe, ich kaufe mir einen Anzug, ich finde sogar immer wieder ein Mädchen, das es trotz meines Gesichts mit mir versuchen will. Ich bin im Grunde genommen ein glücklicher Mensch, und jetzt hör bitte auf, mich an meine glorreiche Vergangenheit zu erinnern. Es ist vorbei. Es verletzt dich mehr als mich.«
    Sie nickte und schaute herunter auf ihre Hände.
    Ich ging zurück in die Kabine und holte das Handy aus der Tasche meiner Hose, die ich zum Anprobieren ausgezogen hatte. Ich schaute hundertmal am Tag darauf. Janne hatte sich nicht gemeldet. Ich wusste inzwischen, dass sie es nicht tun würde, und trotzdem wartete ich darauf.

          »Meine Mama kommt«, sagte Tammy, als wir ins Haus zurückkehrten, ich mit der Einkaufstüte in der Hand, Claudia mit einem Fächer, den sie beim Ein-Euro-Laden nebenan am Marktplatz erstanden hatte. Sie fächelte sich Luft zu und atmete schwer, obwohl es gar nicht so heiß war. Ich machte mir Sorgen um ihren Blutdruck.
    »Sie

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