Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
zur Beerdigung habe ich von Tammy, falls da ein Fehler sein sollte«, beeilte ich mich zu sagen.
» Da ist kein Fehler, Feigling«, sagte Tammy verächtlich.
»Ich finde es in Ordnung«, sagte Claudia schließlich. »Es ist in der Tat … etwas unkonventionell. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er es zu schätzen gewusst hätte. Und vor allem dein tolles Bild, Ferdi.«
Ferdi lächelte sie schüchtern über seine Breischüssel hinweg an.
Als Nächstes erklärte Tammy am Frühstückstisch, dass auch sie meinen Vater noch mal sehen wollte.
»Echt?« fragte ich mit vollem Mund. »Wozu?«
»Um mich zu verabschieden, Idiot.«
»Das ist in ihrem Kulturkreis so üblich. Eine Verabschiedung am offenen Sarg«, sagte Claudia tonlos zu mir, aber natürlich hörte Tammy es trotzdem.
»Wie soll man es sonst machen?« fragte sie. »Ferdi muss ihn auch sehen.«
Ich dachte, ich hätte mich verhört. Claudia guckte ebenfalls ratlos. Ferdi süßte gerade seinen Grießbrei mit mehreren Löffeln Nutella, die er gründlich verrührte. Dann löffelte er die braun gewordene Pampe in seinen wahrscheinlich noch seit gestern verschmierten Mund.
»Bist du dir sicher?« fragte Claudia schwach.
»Schließlich sieht er ihn nie wieder.« Tammy drehte sich zu ihrem Sohn. »Ferdi, hochesh uvidet papu?«
Ferdi nickte ohne aufzusehen.
»Was war das?« fragte ich misstrauisch.
»Wir haben es geklärt«, sagte Tammy. Seit wir miteinander geschlafen hatten, schien ich sie nur noch zu reizen. Vielleicht hatte ich mich besonders bescheuert angestellt.
»Glaubst du nicht, dass es für den Kleinen traumatisch wird?«
»Was?« fragte Tammy.
»Ich kann nicht mehr streiten«, atmete Claudia aus. »Sonst halte ich das alles nicht durch.«
Ich schaute sie an. Dann einigten wir uns ganz schnell darauf, dass ich Tammy und Ferdi ins Bestattungsinstitut begleitete. Das hieß, Claudia fragte mich zaghaft, ob ich es tun würde, und ich sagte Ja. Sie flüsterte, jemand müsse schließlich für den Kleinen da sein, und Tammy werde dafür in der Situation sicher kaum in Frage kommen. Ich sah Claudia an und wusste, dass ich sie nicht bitten konnte, es für mich zu übernehmen. Die Zeiten waren vorbei.
»Du musst nicht mit, wenn du Angst hast«, sagte Tammy verächtlich, während sie sich vor dem Spiegel im Flur den Lidstrich nachzog.
Ich hatte keine Lust mehr mit ihr zu streiten, selbst die Bemerkung, dass er ihren Lippenstift nicht mehr sehen konnte, verkniff ich mir. Ich sagte nur: »Er ist schließlich auch mein Vater«, und wunderte mich still darüber, warum Ferdis Hosentaschen so ausgebeult aussahen. Ferdi stand ganz konzentriert da, die Augen ins Nirgendwo gerichtet, und wartete, bis Tammy ihren Pferdeschwanz gelöst und genauso wie vorher zusammengebunden hatte.
Auf der Straße hakte sie sich bei mir unter. An der anderen Hand hielt sie Ferdi. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, dass man hier alles zu Fuß machen konnte, Bananen, Zeitungsredaktion, Bestattungsinstitut, alles praktisch um die Ecke. Ich betrachtete Tammys Profil. Wir mussten immer wieder anhalten, damit Tammy Beileidsbekundungen der vorbeiflanierenden Einhäuser entgegennehmen konnte. Manche liefen ihr auf der Straße hinterher, um sie zu umarmen und ein paar Worte über meinen Vater zu sagen. Tammy sah zerbrechlich und würdevoll aus. Ferdi wechselte an meine Hand, damit Tammy ihre zum Händeschütteln freihatte. Nachdem sie sich bedankt hatte, stellte sie mich jedes Mal äußerst feierlich vor, und nun drückte ich Hände und murmelte Dankesworte, mich rücksichtsvoll von den Leuten abwendend, die ihre Blicke rasch senkten, als hätten sie einen Fünfziger auf den Bürgersteig fallen gelassen, und ihre Hand aus meiner zurückzogen.
Ich hatte überhaupt nichts dagegen, dass wir so oft aufgehalten wurden. Ich hatte es nämlich nicht eilig. Aber irgendwann waren wir trotzdem da. Ich erinnerte mich sofort an diesen Laden, der in einem Fachwerkhaus untergebracht war. Als Kind war ich hier oft stehen geblieben und hatte die nach Jahreszeit wechselnde Dekoration im Schaufenster bewundert. Am schönsten fand ich es in der Vorweihnachtszeit, wenn die Urnen auf Watte gebettet und mit künstlichem Schnee bestreut wurden, bläuliche Kristalle auf den Tannenzweigen glitzerten und alles so feierlich strahlte, dass ich angeblich mit fünf Jahren Claudia gefragt hatte, ob wir nicht auch so etwas Hübsches für mein Zimmer haben könnten.
Aber nun war Oktober, und im
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