Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
hatte ich ihn nur verschmiert, jedenfalls lachten sich alle schlapp über mich.
Janne hatte mich auch geküsst. Ich hatte mich zu ihr heruntergebeugt, sie hatte mir die Arme um den Hals gelegt und streifte meine Wangen mit ihren Lippen, während ich tief einatmete. Mir war nicht klar, warum ich sie so wenig vermisst hatte. Dass sie, verglichen mit Claudia, ganz schön humorlos war, vergaß ich sofort. Wer solche Augen hatte, schuldete der Welt gar nichts. Ich sah Janne mit einer Mischung aus leiser Bewunderung und tiefem Mitgefühl an. Letzteres hatte mit dem Gespräch zu tun, das ich mit Claudia in meiner Dachkammer geführt hatte.
»Denkst du wirklich, die sind gekommen, um mir beizustehen?« sagte ich. »Ihr seid alle so naiv. Der Guru hat einen ganz anderen Plan. Hast du seine Kamera gesehen? Er dreht einen Film. Und so eine Beerdigung ist ein tolles Motiv.«
»Einen Film?« fragte Claudia mäßig interessiert.
»Ich schätze, eine Art Dokumentarfilm«, erklärte ich. Ich sah nicht ein, warum ich hier noch irgendjemanden decken sollte. »Er macht bei jeder Gelegenheit Aufnahmen. Am Ende wird ein großes Geheimnis aufgedeckt. Hast du dich nicht gewundert, warum Janne so nett zu mir ist? Sie findet, dass wir ein Traumpaar sind. Sie will auf die große Leinwand, verstehst du. Sie schwankte ein wenig zwischen Marlon und mir. Weiß nicht, ob sie es immer noch tut, vielleicht gehörte es auch einfach zum Konzept.«
»Dokumentarfilm? Traumpaar?« Claudia setzte sich auf mein Bett. Auf ihrer Stirn hatten sich zwei Querfalten gebildet. Ich musste daran denken, wie ich als Kind immer meine Finger draufgelegt hatte. »Für welchen Sender?«
»Keine Ahnung.«
»Wer finanziert das?«
»Keine Ahnung.«
»Gibt es ein Drehbuch?«
»Hab keins gesehen.«
»Hat er euch gesagt, dass er irgendetwas veröffentlichen will?«
»Mmmmh … Nein.« Ich horchte noch einmal in mich hinein, versuchte mich an die Dinge zu erinnern, die der Guru uns gesagt hatte. Von einem Film war aus seinem Mund nie die Rede gewesen. Friedrich hatte ganz am Anfang davon geschwärmt, und ich hatte es nicht angezweifelt, weil es für mich logisch geklungen hatte.
»Ich weiß nicht, was ihr euch da eingebildet habt«, sagte Claudia. »Er macht ein paar Aufnahmen, aber die sind garantiert privat, höchstens für euch zur Erinnerung. Aber in eurem Alter wollen ja alle gleich berühmt werden. Aber jetzt erklär mir bitte noch einmal, wer hier ein Traumpaar ist.«
Ich fühlte mich, als hätte jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über meinem Kopf ausgekippt.
»Vergiss es bitte«, sagte ich. »Das ist bloß so ein weiteres Missverständnis.«
Das größte Missverständnis war aber, dass sie wirklich alle da waren. Es war beklemmend. Ich nahm Tammy ihre plötzliche Gastfreundlichkeit übel – schließlich wusste ich so gut wie kein anderer, dass sie kein nettes Mädchen war. Und ich kapierte nicht, warum sie sich plötzlich wie eines aufführen musste. Vielleicht fühlte sie sich der Rolle der Witwe verpflichtet.
Evgenija nahm ich wiederum übel, dass sich plötzlich herausstellte, dass sie Deutsch konnte. Viel besser als ich Englisch, von Russisch und Ukrainisch gar nicht zu sprechen.
»Blamabel-passabel«, schränkte sie ihre Kenntnisse ein. Ich starrte sie an wie einen sprechenden Esel. »Ich hatte einen deutschen Liebhaber«, erklärte sie.
»Familientradition, ich verstehe«, sagte ich höflich. Wenn hier schon alles entgleiste, musste ich wenigstens höflich bleiben. Alle amüsierten sich, und ich wollte nicht derjenige sein, über den später erzählt würde, er hätte auf der Beerdigung seines Vaters keinen Stil gezeigt. Wer außer mir auf der Lauer lag, war Claudia. Aber nur gegenüber dem Guru, dem sie auf Schritt und Tritt folgte; zweimal hatte ich beobachtet, wie sie miteinander diskutierten, aber sofort verstummten, als ich auftauchte. Die Kamera jedenfalls hatte ich in seinen Händen nicht mehr gesehen.
Zu allen anderen war Claudia nett. Zu nett, fand ich. Sie dirigierte alles, zählte Zimmer, Kissen und Köpfe, ließ Feldbetten in die Bibliothek bringen und sorgte für ein gehöriges Durcheinander. Tammy lief mit Stapeln von Bettwäsche hin und her. Es stellte sich heraus, dass der Guru auch hier geflunkert hatte. Sie hatten noch nicht im Hotel eingecheckt, er hatte es vorhin nur behauptet, angeblich, um uns keinen Druck zu machen.
Ich sagte ganz höflich und sachlich, dass es mir absolut unmöglich sei, mit Marlon das
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