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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Doppelbett unterm Dach zu teilen wie ein schwules Paar. Ich sagte, dass ich ohne ein Einzelzimmer zum Massenmörder werde. Darüber lachten alle. Am lautesten Janne und Tammy. Was ich sagte, interessierte sie nur bedingt. Was ich wollte, gar nicht.
    »Jetzt reiß dich zusammen«, zischte Claudia, nachdem sie mich aus der Runde gepflückt und mich von außen gegen die Hauswand gedrückt hatte. »Ich will nicht, dass ausgerechnet mein Sohn sich wie eine Diva aufführt.«
    Ich saugte laut die Luft in mich hinein.
    »Wer ist hier eine Diva? Ich bin eine Diva? Hast du die anderen gesehen? Hast du überhaupt …?«
    Sie boxte mir in den Bauch, die Geste sollte wahrscheinlich liebevoll sein, und der ganze Atem, der sich während meiner kleinen Rede in meinen Lungen gestaut hatte, entwich pfeifend in ihr Gesicht. Sie wandte sich ab, als hätte ich Mundgeruch.
    »Man kann hier überhaupt nicht in Ruhe trauern«, sagte ich. »In jeder Ecke sitzt ein Behinderter.«
    »Behindert bist hier nur du.« Sie richtete den Zeigefinger wie einen Pistolenlauf auf mich. »Und zwar im Kopf.«
    »Ich habe es nie bestritten.«
    Claudia sah sich um, als hätte sie Angst, belauscht zu werden.
    »Was ich nicht verstehe«, sagte ich mit schlecht unterdrücktem Zorn, »ist, warum ihr das alle so toll findet. Du speziell. Zu Hause hast du doch auch gern deine Ruhe.«
    »Ich hab nicht gern meine Ruhe!« schrie sie.
    »Warum ist dann nie jemand bei uns?«
    »Weil du mit deinem Gehabe alle vergrault hast!« Jetzt scherte sie sich nicht mehr darum, ob jemand sie hören konnte. »Solange wir unter einem Dach leben, kann ich niemanden einladen, ohne dass du ihn so behandelst, dass ich mich in Grund und Boden schämen muss. Keiner hat dir was getan, und du musst nicht wie der personifizierte Weltschmerz durch die Gegend laufen wegen ein paar Kratzern an der Backe. Ja, ich genieße es, dass hier Leute sind, die für dich da sein wollen, obwohl du so bist, wie du bist. Lass mich ausreden«, sagte sie, als ich den Mund öffnete, um zu widersprechen. »Ich kenne jedes Wort von dir im Voraus. Natürlich willst du nichts mit ihnen zu tun haben. Natürlich sind alle außer dir gestört. Natürlich …« Sie stolperte mitten im Satz und warf mir einen mitleidigen Blick zu, als wäre ich dem klugen Inhalt ihrer Rede nicht gewachsen. »Und jetzt mach den Mund zu und biete den Gästen was zu trinken an.«

          Wir gingen zu Fuß zum Friedhof. Es war neun Uhr, und die Kirchenglocken läuteten. Der Morgen war herbstlich kalt, und unsere Füße wateten durch den Nebel. Ferdi lief zwischen Tammy und Evgenija. Immer wieder hängte er sich an ihre Hände und zog die Beine an. Ich sah ihnen von hinten an, wie schwer er war, wie sich die Arme der beiden Frauen anspannten und ihre Rücken sich versteiften, um ihn in der Luft zu halten. Aber sie sagten nichts zu ihm und auch nichts zueinander. Jede schaute nach vorn, auf den Weg vor sich.
    Ich hatte mich erschreckt, als ich heute früh in Tammys Gesicht geblickt hatte. Ich war als einer der Ersten wach, weil es mich wahnsinnig machte, neben einem atmenden Mann im Bett zu liegen. Claudia, die in industriellen Mengen Kaffee kochte, schickte mich wieder nach oben, damit ich Tammy weckte. Ich hatte noch gar nicht an Tammys Tür geklopft, als sie sich plötzlich öffnete. Ich sah die Frau an, die im Zimmer stand, im schwarzen Kleid, schwarzen Strumpfhosen, auf wolkenkratzermäßigen Absätzen, die kein Alter hatte, aber einen Gesichtsausdruck. Ich wollte auch so einen haben: ernst und feierlich und allwissend. Ich fühlte mich wie ein Küchenjunge, der die Königin gestört hatte. Irgendwas in meinem Gehirn vernetzte sich fehlerhaft, und ich würgte an einem »Glückwunsch«, das beinah meine Lippen verlassen hätte. Dann hielt ich mir sicherheitshalber die Hand vor den Mund.
    Sie hob sehr königlich die linke Augenbraue. Im rechten Mundwinkel versteckte sich ein winziges Grinsen, und ich hätte es gern geküsst.
    »Frühstück«, sagte ich heiser. »Darf ich?« Ich bot ihr meinen Ellbogen an, und wir gingen nebeneinander die Treppe herunter, und plötzlich dachte ich: Mein Vater ist ein Glückspilz. Ob tot oder lebendig – was spielt das schon für eine Rolle.

    Ich sah auf Tammys sehr geraden Rücken, die gleichmäßigen Schritte, die sie mit ihren endlosen Beinen machte. Ich schob Jannes Rollstuhl und wusste, dass auch sie auf Tammys Beine schaute. Aus ihrer Perspektive konnte sie alle Beine sehr genau sehen. Jannes

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