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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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der freien Hand.
    Ich blieb stehen und beobachtete ihn. Er schäkerte nach links auf Deutsch mit Claudia, auf Englisch nach rechts mit Evgenija, als hätte er nie etwas anderes getan. Außerdem nannte er sie schon Jenny. Und ich hatte Lust, ihn am Kragen zu packen und rauszuwerfen, weil er hier nichts verloren hatte.
    Er entdeckte mich, und das Lächeln gefror in seinem Gesicht. Schon wieder entwöhnt, dachte ich gehässig. Als Nächstes wollte ich unauffällig über den Riemen der Kameratasche stolpern und sie herunterreißen. Wir hatten eine gute Haftpflichtversicherung. Aber noch saß er zu weit weg, und unter ihm war der Teppich.
    Er stand auf, schob die Kamera Mama Jenny in die Hände und ging langsam auf mich zu. Seine Hand streckte sich mir entgegen. Ich überlegte kurz, dann schüttelte ich sie, um nicht gleich als der größte Neurotiker vor Ort aufzufallen. Die andere Hand legte er mir auf die Schulter. Das wiederum wäre nicht nötig gewesen.
    »Mein Beileid.« Er zog mich zu sich und umarmte mich mit einem Arm, dabei hielt seine rechte Hand immer noch meine fest, eingeklemmt zwischen unseren Bäuchen.
    »Das haben Sie mir doch schon gesagt.« Nach diesen Tagen hier kam es mir noch unsinniger vor, ihn zu duzen. »Vor meiner Abreise, wissen Sie?«
    »Das macht nichts.« Endlich ließ er mich los. »Manches kann man öfters sagen.«
    »Was machen Sie hier?«
    »Wir haben beschlossen, dir und deiner Familie die Ehre zu erweisen.«
    »Warum haben Sie nicht vorher angerufen?«
    »Wir haben die ganze Zeit deine Handynummer gewählt, aber niemand ist drangegangen.«
    »Das kann überhaupt nicht sein.«
    »Dachten wir auch. Deswegen habe ich irgendwann deine Mutter« – er machte eine flüchtige Verbeugung in Richtung Claudia – »angerufen, um herauszufinden, dass wir die ganze Zeit einen Zahlendreher auf unserer Telefonliste hatten. Und dann entschlossen wir uns zu einem Überraschungsbesuch.«
    »Wer sind noch mal wir? « Meine Kehle war rau, und das Herz klopfte irgendwo in meinem Bauchnabel.
    »Wir alle.« Er neigte den Kopf zur Seite und lächelte mich an. »Wir sind alle gekommen, um bei der Beerdigung für dich da zu sein.«
    »Wer sind wir alle ?« Ich war nicht blöd, ich wollte es einfach nicht glauben. Es gab kein wir , das etwas mit mir zu tun haben konnte. Wir hatten uns kurz eine gemeinsame Welt aufgebaut, wir sechs Krüppel und ein Guru, aber die Zeit war vorbei, ich war rausgefallen, lebte jetzt in einer ganz anderen Welt, die sich um Tote drehte. Ich sah weder, an welcher Stelle sich die beiden Welten berühren konnten, noch, warum sie es überhaupt tun sollten. Ich fühlte mich, als wäre eine Urlaubsbekanntschaft plötzlich bei mir zu Hause aufgetaucht und hätte mich vor allen Leuten gefragt, ob ich ihr den Rücken eincremen könnte.
    »Ich habe euch nicht eingeladen.« Ich starrte auf die Kamera im Schoß des Gurus.
    »Das ist eine Beerdigung, man braucht keine Einladung«, sagte eine Stimme von hinten.
    Ich fuhr abrupt herum. Marlon stand in der Balkontür.
    »Hast du da draußen an den Magnolien gerochen?« fragte ich voller Hass.
    »An den Rosen«, sagte er mit einem höflichen Lächeln. »Magnolien sind längst verblüht.«
    »Und wo verstecken sich alle anderen? In der Garage? Im Schrank?«
    Der Guru war fest entschlossen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. »Warum im Schrank? Im Hotel«, sagte er milde lächelnd. »Dir beizustehen war es uns wert.«
    Tammy eilte die Treppe herunter, rutschte aus, fiel beinah hin, richtete sich wieder auf, drückte den Rücken durch und warf den Kopf zurück. Ihr interessierter Blick streifte Marlon.
    »Wozu ein Hotel? Wir haben genug Zimmer«, sagte sie.

          Bei der Gelegenheit fand ich ein wichtiges Ding über mich selbst heraus. Man konnte mir das Gesicht abbeißen und mich meinen toten Vater abknutschen lassen, solange man mich ansonsten in Ruhe ließ, zum Beispiel in einer Dachkammer, zu der außer mir niemand Zutritt hatte. Und diese Ruhe war endgültig vorbei, und ich war hin- und hergerissen zwischen einem großen Wunsch, nämlich vom Dach zu springen, und einem kleineren – alles vorhandene Geschirr zu zerschmettern.
    Evgenija und Tammy, Janne und Kevin hatten sich an den Küchentisch gesetzt und schnippelten Gemüse. Von Kevins Begrüßungskuss trug ich eine Weile Lippenstift auf der Wange herum, bis Richard sich erbarmte und es mir sagte. Ich versuchte ihn abzuwischen, aber ohne Spiegel ging es schlecht, wahrscheinlich

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