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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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schwarzen Schneewittchen-Haare waren hochgesteckt, zusammengehalten von einer Haarspange aus dunklem Horn mit matten, geschliffenen Steinen. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie Tammy hassen musste. Und ich bewunderte sie dafür, dass man es ihr nicht anmerkte. Der Blick auf Jannes zarten, weißen, zerbrechlichen Hals war wieder frei, und plötzlich dachte ich zum ersten Mal in meinem Leben, dass der Mensch mehr war als seine Hülle.
    Der Gedanke war so frappierend, dass ich mich zu Friedrich umdrehte, der die Gruppe abschloss. Ich hatte schon vergessen, wie seine Stimme geklungen hatte. Sobald angekommen, hatte er mit Ferdi Burgen gebaut. Ich hatte gar nicht richtig mitbekommen, dass er überhaupt da war. Ich sah ihn aufmerksam an und stellte fest, dass irgendetwas an ihm sich verändert hatte. Ich hatte ihn noch nie schweigend erlebt. Und er hatte noch nie eine schwarze Lederjacke wie jetzt getragen. War er vor der Beerdigung noch einmal einkaufen? Oder hatte er sie schon die ganze Zeit in seinem Koffer versteckt?
    Er merkte, dass ich ihn anstarrte, und sah mir ernst und ruhig entgegen. Ich nickte ihm zu – ich hatte ihn im Grunde seit seiner Ankunft nicht richtig begrüßt – und lief weiter.
    »Siehst du, wie gut«, sagte Claudia, als wir die Friedhofsmauer erreicht hatten.
    »Was ist gut?«
    »Dass wir zu Fuß gekommen sind.« Sie deutete auf die Autos, die sich am Straßenrand aufreihten. Unzählige Limousinen krochen nacheinander über die Straße, und ihre langsam ruckelnde Kolonne riss nicht ab. Unser Trupp hatte sich bereits auf den Gehweg verzogen, um die Bahn freizugeben, bloß Janne und ich blockierten noch den Verkehr.
    »Entschuldige«, sagte ich und schob sie ebenfalls an die Seite.
    Sie streifte mit der Wange kurz meine Hand, die auf dem Griff lag.
    Der Parkplatz vor der Trauerhalle war längst voll, die Autos parkten nun in zweiter Reihe auf der Straße. Aus allen Richtungen liefen Menschen auf den Eingang zu, in schwarzen Kleidern, langen Mänteln, mit gesenkten Köpfen. Einige trugen Blumen, andere schleppten zu mehreren riesige Gestecke. Mir fiel siedend heiß ein, dass ich nicht mal eine einzige Blüte dabeihatte. Ich wollte mich an Claudia wenden, um zu fragen, warum wir uns eigentlich alle hier versammelten – für einen Moment hatte ich es tatsächlich vergessen –, und sie daran zu erinnern, dass wir mit leeren Händen gekommen waren, allesamt. Aber sie hatte schon mit Tammy den Eingang der Trauerhalle erreicht, und im Reigen der Schwarzgekleideten war von ihr nichts mehr zu sehen.

    Natürlich hatte ich mich geirrt. Natürlich waren Blumen vorbereitet. Auf unseren Stühlen in der ersten Reihe lagen kleine Gestecke, je drei zusammengebundene weiße Rosen mit einer schwarzen Schleife, die ganze Sitzreihe entlang. Um sich hinzusetzen, musste man erst die Blumen aufheben. Eine meiner Rosen hatte noch einen Stachel, an dem ich mich sofort aufritzte. Ich steckte den Finger in den Mund und leckte den Blutstropfen ab, im Ohr Lucys Warnung, alle Rosen seien heutzutage mit hochgiftigen Pestiziden behandelt. Lucy interessierte sich für so etwas, für genmanipuliertes Essen und Tierversuche und die armen Bauern in Lateinamerika. Ich hatte immer so getan, als ob es mich ebenfalls interessieren würde. In Wirklichkeit hatte ich mich damals schon nur für mich selbst interessiert. Vor meinen Augen verschwamm alles, also schloss ich sie, konzentrierte mich auf den salzigen Geschmack in meinem Mund.

          Die Party schien in vollem Gange. Es waren nicht ganz so viele Leute gekommen wie erwartet, die Einladung nach Hause habe ihnen das distanzwahrende Gefühl zu großer Intimität vermittelt, hatte Evgenija mir in der Küche bedauernd ins Ohr geschrien. Aber das sei schon wieder ganz gut, denn so habe fast jeder einen Sitzplatz.
    »Toll!!« brüllte ich in ihr Ohr zurück. Ich hatte meinen Arm um ihren Hals geworfen und sie fest an mich gezogen, weil ein Höllenlärm herrschte, entweder im ganzen Haus oder auch nur in meinem Kopf. Der kleine Perlenohrring an ihrem Ohrläppchen streifte meine Nasenspitze, fast hätte ich mich an ihm festgebissen, verpasste ihn aber knapp. Evgenija lachte und warf meinen Arm ab, ich würgte an der Parfümwolke, die sie hinterließ. Ich wusste nicht genau, wie viele von diesen winzigen Gläschen ich runtergekippt hatte, zwei oder fünf, ich hatte es genau so getan, wie Tammy es mir beigebracht hatte: Nicht nachdenken, nicht anstoßen, auf Ex, und irgendwas

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