Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
die Arme, auch sie bekommt einen dicken Kuss auf die Stirn. Dann nehme ich neben ihr Platz und beginne zu essen. Dabei erzähle ich von den Besonderheiten meines Tages. Von John, der in seiner Erscheinung Michael C. Duncan, dem Riesen aus
›The Green Mile‹,
locker das Wasser reichen kann, von der wunderschönen Garderobe, die man meinem Charakter
Lea
zugedacht hat, von den verrückten Dialogen, deren Tempo mich extrem fordert, und von Randy, dem flippigen Regisseur und Autor der Serie. Alberta findet meine Imitation seiner Person sehr amüsant und hält sich vor Lachen den Bauch, als ich nach der Küchenrolle greife und in gebieterischem Tonfall Anweisungen in mein ›Megaphon‹ rufe. Sie ahnt nicht, wie wenig ich übertreibe. Randy ist wirklich etwas schräg.
Am ausgiebigsten jedoch berichte ich von Ben Todd, meinem neuen Schauspielpartner. Von seiner tiefen Stimme, die mich an den Erzähler meiner Schneewittchen-Schallplatte aus Kindheitstagen erinnert, von seinen ausdrucksstarken silberblauen Augen und davon, wie groß er in natura wirklich ist. Auch seine Beklemmungen mir gegenüber erwähne ich amüsiert.
Dass ich seine leicht verstockte Art irgendwie richtig süß fand, lasse ich allerdings unerwähnt. Ehrlich gesagt fällt mir diese Tatsache auch erst auf, als ich Alberta von seiner Schüchternheit berichte.
Die sitzt mir mit großen Augen gegenüber und scheint meine Erzählungen förmlich in sich aufzusaugen. Da ich am Vorabend ein Treffen mit meinen Agenten hatte und außer Haus gegessen habe, ist dies die erste Möglichkeit, ihr vom neuen Set zu erzählen.
Für sie – die Frau, die ihr Leben damit verbracht hat, Kinder großzuziehen und ab und zu aushilfsweise Pizza im Restaurant ihres Cousins zu backen – sind es die Schilderungen einer völlig anderen, faszinierenden Welt.
»Und dieser Ben isse gut zu dir, bella?«, hakt sie skeptisch nach.
Ich nicke. »Sehr nett, ja. Bei Gelegenheit wirst du ihn sicher kennenlernen. Aber nur, wenn du versprichst, ihn nicht sofort abzufüttern. Er ist nämlich wirklich schlank, weißt du?« Alberta lacht laut auf.
Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit Ben. Wie wir in dem kleinen überteuerten Café am Rande der Stadt einander gegenübersaßen – zwischen meine Agenten gequetscht – und er es in anderthalb Stunden kaum schaffte, mich anzusehen. Kein Vergleich zu dem heutigen Drehtag, Gott sei Dank. Doch Ben hat nach wie vor etwas Unergründliches an sich. Irgendetwas verbirgt er, hält er unter Verschluss. Manchmal wandelt sich sein Blick von einer Sekunde auf die andere. Wirkte er zuvor noch nahezu unbeschwert, scheint er nur einen Augenblick später verschreckt oder mit seinen Gedanken weit weg zu sein.
In diesem Moment erinnere ich mich an einen Online-Bericht über ihn, auf den ich im Zuge meiner Recherchen gestoßen war und in dem etwas von einem persönlichen Schicksalsschlag gestanden hatte. An Details kann ich mich nicht erinnern.
Gemeinsam mit Alberta räume ich das Geschirr ab und höre mir an, wie der Tag meiner Tochter abgelaufen ist. Die Entscheidung, mich für eine Serie zu verpflichten, beruhte nicht zuletzt auf der Überlegung, dann mehr Zeit für Josie zu haben. Nun hoffe ich inständig, dass sich diese Erwartung erfüllt. Dass das gemeinsame Frühstück, heimliche Gute-Nacht-Küsse und Albertas Berichte zukünftig nicht alles sein werden, was ich von der Entwicklung meiner Tochter mitbekomme.
Als ich den letzten Topf an seinen Platz zurückgestellt habe, wende ich mich Alberta zu und drücke ihr einen weiteren Kuss auf die Stirn. »Ich bin oben, Berta. Bin total ausgelaugt und gehe heute früh schlafen.«
»Bene, bene. Buona notte, träume süß!«, verabschiedet sie mich mit einer ihrer vielen Gesten.
Schnell springe ich unter die Dusche, wasche mir die Haare, putze meine Zähne und schlüpfe in mein Nachthemd. Im Gegensatz zu gestern ist diese Nacht schwül und der Himmel so wolkenverhangen, dass ich weder den Mond noch einen einzigen Stern sehen kann, als ich noch einmal kurz auf den Balkon hinausschlüpfe. Ich atme tief die salzige Luft ein, die der Wind vom Ozean zu mir trägt, und schließe die Augen. Als Bens Gesicht vor meinen geschlossenen Lidern aufflackert, öffne ich sie erschreckt wieder.
Daniel! Du musst Daniel anrufen!
»Sarah!«, begrüßt mich mein Verlobter nur wenige Minuten später.
»Guten Morgen!«, rufe ich lachend. Es ist immer wieder eine eigenartige Vorstellung: Ich habe meine Klamotten gerade
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