Neobooks - Das Schloss im ewigen Eis
aufgehört. Wir müssen weiter!«
»Nicht so! Wir sollten eine Entzündung nach Möglichkeit vermeiden, und ich werde daher zumindest einen neuen Kräuterverband anlegen«, erklärte der Verianer bestimmt und legte schon die Schulter frei. So vorsichtig wie möglich löste er den teilweise verklebten Verband.
»Caitlin, wo bleibst du denn?« Ungeduldig drehte er sich um und glaubte zu träumen.
Die Priesterin näherte sich langsam, den Beutel in der Hand, mit geschlossenen Augen.
»Das gibt es nicht! Mach gefälligst die Augen auf, oder willst du den Abhang wieder runterfallen?«, schimpfte er.
Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Ich kann doch kein Blut sehen«, erklärte sie weinerlich.
Gideon riss der Geduldsfaden. Für wirre Launen war hier nicht der geeignete Ort. Wütend schnaubte er: »Du machst auf der Stelle die Augen auf und kommst her. Wir müssen weiter, und so geht das nicht. Also nimm dich zusammen!«
»Aber Gideon!«
»Mach jetzt, sonst wirst du mich kennenlernen!« Noch nie zuvor hatte seine Stimme so zornig geklungen. Er sah kurz hoch und direkt in Rhonans belustigt blitzende Augen. »Und du wirst mich auch kennenlernen, wenn du weiter so blöd grinst«, drohte er wild, und kam sich neben den beiden plötzlich uralt vor.
Caitlin schniefte, ließ den Beutel aber direkt neben Gideon fallen und musste erst einmal schlucken. Bei Tageslicht sahen die Narben auf Schulter, Oberarm und Brust viel grauenhafter aus als in der dämmrigen Höhle. Dort hatte sie nur Linien gesehen, aber jetzt sah sie dicke Striemen oder gar wulstige Stränge, und deutlich konnte sie ein eingebranntes K erkennen. Runzlige Narben und bräunliche, zusammengezogene Haut konnte sie gar keiner Verletzung zuordnen und war nur froh, dass sie mehr nicht sehen konnte. Dieser kraftstrotzende Körper zeugte von viel Leid.
Rhonans Blick, den sie auffing, als sie ihn voller Mitgefühl betrachtete, hätte sie am ehesten mit scheu oder verlegen beschrieben, aber da musste sie sich wohl geirrt haben.
»Aua! ... Was treibst du da?«, fragte der gerade atemlos.
»Ich säubere die Wunde mit Branntwein. Gut, dass du welchen dabeihattest.«
»Nicht wahr?!« Die Stimme klang derart hölzern, dass Caitlin ein Kichern entschlüpfte, während Gideon betroffen »Entschuldigung« murmelte.
Etliche Zeit später stapften sie durch tiefen Schnee eine schier endlos scheinende Steigung hoch. So weit das Auge reichte, umgab sie graublauer Himmel und glitzernder Schnee. Manchmal sanken sie in Letzterem bis zu den Knien ein, manchmal bis zur Hüfte. Es wurde so beschwerlich, dass sie die Kälte kaum noch spürten.
Gideon stapfte vorweg, und sein Atem schien sich sofort in Eiskristalle zu verwandeln und zwickte an seiner Haut. Nur selten sah er sich noch nach seinen Begleitern um, da er dann den Schrittrhythmus verlor und es noch schwieriger wurde, sich weiterzukämpfen.
Rhonan zog Caitlin mit. Immer wieder musste er sie aus tiefem Schnee ziehen. Seit geraumer Zeit beschwerte sie sich nicht einmal mehr, sondern taumelte nur noch stumm hinter ihm her.
Gideon stapfte weiter und weiter, den Blick starr geradeaus gerichtet. Er wusste nicht mehr, wie lange er gewandert war, als er eine Hand auf der Schulter spürte und stehen blieb. Dankbar für die Rast schaute er sich um. Der Prinz trug Caitlin über der Schulter, deutete neben sich und sagte etwas. Doch die Ohren des Gelehrten schienen verstopft, vernahmen nur ein dumpfes Pochen. Stumpfsinnig folgten seine Augen der ausgestreckten Hand bis zu einem Felsen mit einem Überhang, der an ein Vordach erinnerte. Der Prinz ergriff schon seinen Arm und zog ihn in die Richtung.
Wenig später saßen Gideon und Caitlin dicht beieinander im Schutz des Felsens unter sämtlichen Decken, die sie mit sich führten. Rhonan kramte einen schwarzen Stein aus seinem Gepäck, häufte getrocknete Baumpilze darauf und entzündete sie.
»Was ist das?«, krächzte Gideon, der langsam wieder zu sich kam.
»Ein Feuerstein aus Lavissa. Brennt nicht, wird nur heiß. Geht’s wieder halbwegs?« Er wartete das Nicken des Gelehrten ab und bat: »Kannst du die Reste vom Hasen aufwärmen und Schnee schmelzen? Dann kümmere ich mich um das Zelt.«
Der Verianer rappelte sich hoch. Er fühlte sich scheußlich, hätte schwören können, dass Waden und Oberschenkel den doppelten Umfang hatten, und konnte nicht verstehen, warum sie ihn so angewachsen nicht tragen wollten und darüber hinaus so schmerzten. Er war sich aber auch
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