Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
gefährlichste Ort, an den sich ein Elbe begeben kann.«
»Die Schicksalsnorne Destina’riu war mir gnädig. Ich kann Dinge sehen, die nicht offensichtlich sind, und ich kann Worte hören, die nicht ausgesprochen wurden.«
»Mögen dir alle drei hold sein«, sagte Ala’na und neigte ihren Kopf zum Abschied.
Es war wohl eine Eigenheit des Alters, dass sich das Verantwortungsgefühl für das Wohl aller nicht abschütteln ließ. Ebenso musste es eine Erscheinung ihres Alters sein, dass sie stets alle Fäden selbst in der Hand halten wollte.
Wahrscheinlich ging es Rond’taro nicht anders, denn auch er hatte offensichtlich das Bestreben, seinen eigenen Plan in die Tat umzusetzen. Ala’na versuchte, die Abreise von Leron’das nun in ihren Plan mit einzubeziehen, aber das Gefühl, dass ihr etwas entglitten war, wollte nicht von ihr weichen. Sie versuchte sich an alles zu erinnern, was sie je über Menschen gewusst hatte, doch in ihrem Kopf spukten nur Bilder von jenen, denen sie die Haut verbrannten, die Glieder streckten und die sie in Öl siedeten, um ein Geständnis von ihnen zu bekommen. Sie wusste nicht, ob es Menschen gab, die so eine Folter überlebten, aber sie war sicher, dass sie kein Elbe überleben würde. Schon allein die Schmach würde die Seele aus dem Körper treiben.
Unweit von Iri’tes Haus sah sie Erol’de auf dem schmalen Pfad wandeln. Ala’na beschleunigte ihre Schritte und trat zu ihrer Schwester.
»Schone dich, du bist noch lange nicht genesen, und der Rat heute hat dich sehr angestrengt«, flüsterte sie ihr zu.
»Ala’na!« Erol’de lächelte und sah ihre Schwester mit dem einen Auge, das ihr geblieben war, zärtlich an. »Sorge dich nicht um mich. Das Bett war lange genug mein Platz, jetzt muss ich wieder den Wind auf meiner Haut spüren und den Wald flüstern hören. Begleite mich ein Stück und erzähl mir von früher. Die Welt schien mir damals ein ruhigerer Ort zu sein, als sie es heute ist.«
Ala’na hakte sich bei ihrer Schwester unter und stützte sie vorsichtig.
»Wir waren sehr jung damals und wussten nicht viel von der Welt. Ich frage mich oft, was unsere Väter tun würden, wenn sie heute noch unter uns wären. Wenn man bedenkt, wie lange Nordarea’lia ihre Heimat war und warum sie sie verließen, dann zweifle ich oft, ob es sich lohnt, weitere Opfer für Ardea’lia zu bringen. Obwohl dieser Wald hier meine Heimat ist und ich mir keinen anderen Ort vorstellen kann, an dem ich leben möchte, so erdrückt mich doch der Schmerz, wenn ich an all die denke, die ich um dieses Landes willen verloren habe und, wie es jetzt aussieht, noch verlieren werde.«
Erol’des Blick verdunkelte sich, und Ala’na strich sanft über ihren Rücken. »Entschuldige Erol’de, ich sollte dich aufmuntern, stattdessen belaste ich dich.« Ihre Schwester war damals nicht ohne Grund nach Frig’dal gegangen. Zu groß war ihre Trauer gewesen, zu beengend das Leben in dieser Stadt, vor deren Toren so lange der Tod lauerte.
»Wenn das Eis zu schmelzen beginnt und an manchen Stellen für kurze Zeit sogar ein paar Blumen aus der Erde sprießen, habe ich Sehnsucht nach dem Duft des Waldes, und auch wenn ich nun schon lange meine Zufriedenheit im Eis gefunden habe, so träume ich doch immer noch von grünen Wiesen und springenden Bächen, von dem Duft der Kirschbäume und dem abgemähten Gras, von singenden Vögeln und dem Rascheln der Blätter. Ich höre den Regen rauschen und spüre die Sonne auf meiner Haut … ein Teil von mir wird immer hierhergehören, und solange es hier keinen Frieden gibt, werde ich auch im ewigen Eis oder an jedem anderen Ort keinen Frieden finden. Ich verstehe deine Zweifel Ala’na, aber du selbst hast vor langer Zeit deutlich gemacht, wo du hingehörst, als du dein Herz Rond’taro schenktest. Wie habe ich dich bewundert, weil du trotz allem nicht aufgegeben hast. Ich wollte, ich hätte auch so stark sein können.« Erol’de drückte den Arm ihrer Schwester.
»Damals war es leicht, mutig zu sein«, erwiderte Ala’na. »Damals hatte ich bereits fast alles verloren, damals ging es nur darum, nicht auch noch das Letzte zu verlieren. Heute leben hier meine Kinder und die Kinder meiner Kinder. Die meisten, die hier wohnen, kenne ich seit dem Tag ihrer Geburt, wie kann ich sie vor Gefahren bewahren?«
Erol’de blieb stehen und wandte sich Ala’na zu. Mit ihrer Hand, die immer noch in einem dicken Verband steckte, strich sie ihr vorsichtig über die Wange.
»Mein
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