Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
Tagen von den letzten Hügeln auf den endlos grünen Teppich des Siebenbachtals hinuntersah, gab er Lisia die Sporen und galoppierte in die flimmernde Weite. Die Straße zog sich gerade wie ein Strich durch die Landschaft, und Dörfer, die meilenweit entfernt waren, konnte er anhand der Häufung von Bäumen und Büschen erkennen. Zu seiner Rechten sah er das üppig wuchernde Ufer des Fils, und er bildete sich ein, ganz weit vorne auch das Ufer des Säbelflusses erkennen zu können. Doch dann ritt er Tag um Tag, und die Landschaft blieb so bedrückend unverändert, dass er sich fragte, ob er sich überhaupt von der Stelle bewegte und ob er sein Ziel jemals erreichen würde. Am sechsten Tag, endlich, waren die Berge schattenhaft im Dunst aufgetaucht. Erst konnte er sie nur erahnen, aber mit jeder Stunde, die er weiterritt, wurden ihre Umrisse deutlicher, und schließlich sah er tatsächlich das Ufer des Säbelflusses vor sich liegen. Lisia spürte den heimischen Stall und beschleunigte ihre Schritte, und auch in Agnus stieg Freude auf, dass er jetzt bald nach Hause kommen würde. Die Hufe klackerten fröhlich auf der Brücke, dann war er endlich im Wildmoortal.
Für ein ungeübtes Auge sah das Land diesseits und jenseits der Brücke gleich aus, aber Agnus wusste, das unter dem üppig wuchernden Gras der Boden weich und schlammig war und man an nur wenigen Stellen trockenen Fußes über die Wiesen gehen konnte. Zahllose Quellen, die sich in größeren und kleineren Bächen aus den umliegenden Bergen ins Wildmoortal ergossen, machten den Boden sumpfig, und würde nicht der Säbelfluss einen Großteil dieses Wassers davonschwemmen, dann wäre das gesamte Tal zweifellos ein See. So aber war es der schönste Ort, den Agnus sich vorstellen konnte. Hohe, schroffe Berge begrenzten das Land im Westen. Im Süden endeten die feuchten Wiesen an den Helmsholm Hügeln, und im Norden erhoben sich die sanften Rundungen der unbewaldeten Blumenberge.
An ihren Ausläufern lag der Erses Berg, auf dem Agnus’ bescheidene Festung stand. Je nach Jahreszeit hatten die Hügel eine andere Farbe, und manche Menschen nannten sie deswegen auch die Frauenberge. Jetzt zur Sommermitte schimmerten sie lila von Glockenblumen, Vergissmeinnicht und Rittersporn.
Während sich seine Augen nicht sattsehen konnten an der vertrauten Schönheit seiner Heimat und während sein Herz bei dem Gedanken an seine Frau Amilana freudig klopfte, wuchs auch der Schatten, der auf seiner Seele lastete. Jetzt, im Sonnenlicht, war es leicht, ihn noch eine Weile auf Abstand zu halten, aber die tiefen Täler in den Bergen verfärbten sich bereits blau, und bald würde die Nacht aus ihnen herauskriechen und das ganze Land in Dunkelheit hüllen. Mit der Nacht erwachten jedoch die Gnome, verließen ihre Verstecke und brachten Unheil über sein Volk. Als er dieses Fleckchen Land verlassen hatte, trug ihn die Hoffnung auf baldige Besserung, doch nun hatte sich diese Hoffnung in eine Last gewandelt, die seine Sorgen nur noch weiter verstärkte. Wie sollte er den Auftrag des Königs erfüllen, ohne dabei sein Volk zu verraten? Wie sollte er seinen Untertanen erklären, dass der König die Unterstützung des Zauberers auf dem Ebelsberg forderte? Wie sollte er ihnen erklären, dass der König gegen Feen ins Feld ziehen wollte, wo doch jeder hier einen sehr viel greifbareren Feind vor Augen hatte?
Unweit der Straße lag der zerfetzte Kadaver eines Pelztieres. Was es früher einmal gewesen war, konnte man auf die Entfernung nicht mehr erkennen. Agnus ballte die Fäuste. Das hier war sein Land, und hier im Wildmoortal war immer noch er der Herr, und er wollte keine Gnome in seinem Land.
»Tod euch hässlichen Kreaturen«, knurrte er.
Unzählige Holz- und Steinbrücken spannten sich über die Kanäle und Bäche, die dem Boden etwas von seiner Feuchtigkeit entzogen, um ihn für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Je weiter Agnus ins Moor ritt, umso stärker veränderte sich die Landschaft. Torfmooswiesen und Bruchwälder wechselten sich ab. An den Stellen, an denen Torf abgebaut wurde, war das Land braun und aufgewühlt. Die Felder standen grün und saftig in der Abendsonne und bildeten für Agnus einen herzerfrischenden Kontrast zu den verfilzten Sumpf- und Riedgräsern.
In den Wäldern wuchsen Schlangenwurz und Hahnenfuß, Flussampfer und bittersüßer Nachtschatten, und der erdige Duft von feuchten Böden und aufgewühltem Torf drang in seine Nase.
Mit heftig klopfendem
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