Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
berührt sie also an der Wurzel am Stamm, man stellt sich nach links und sagt – Erlaube mir oh Schwester zu gehen den Pfad –, dann geht man vorbei, dann noch mal rechts und wieder rechts. Dann – Du Treue, du Ewige, gegrüßt sollst du sein – jetzt links an der Eiche – Eglte – stehen bleiben und warten, dass sie das Tor öffnet.« Vielleicht musste man das alles sehen, um es zu verstehen. Da standen auch noch Rituale zum Begehen des Sonnentors, der Tore zur Dämmerung und des Abendsterns. Dann gab es Rituale, die begangen wurden, wenn diese Zeiten nicht unmittelbar bevorstanden und man trotzdem in die Stadt wollte. Moos und Steine wurden berührt und versetzt. Natürlich jede Menge Bäume umrundet, und wenn Philip das richtig verstand, dann war man nach so einer Baumumrundung oft nicht an der gleichen Stelle wie vorher. Meistens stand auch nicht mehr der gleiche Baum dort.
»Mein steter Begleiter auf meinem Weg nach Pal’dor
war mein Freund Rond’taro, aber auch wenn ich ihn immer genau beobachtete und er mir alles zeigte, so muss ich gestehen, dass ich nie aus eigener Kraft einen Weg nach Pal’dor finden konnte.«
Geschickt gelöst, dachte Philip. Wäre da nicht Jar’jana, hätte er vermutlich das Buch spätestens jetzt zugeschlagen und es dem Lehrer Theophil als unglaubwürdig zurückgegeben. Aber Jar’jana hatte Pal’dor erwähnt. Sie musste er fragen! Sie könnte ihm zumindest eines dieser verflixten Rituale erklären, dann würde er Hilfe für sie holen und sie konnte wieder nach Hause gehen. Der Gedanke gab ihm einen Stich, aber dann beflügelte ihn die Aussicht, dass er als strahlender Held vor ihr stehen würde. Fast spürte er schon den zarten Kuss, den sie für ihren kühnen Retter bereithielt.
Trotzdem musste er das alles erst mit seinen Eltern besprechen, und er war sich sicher, dass seine Mutter es nicht gutheißen würde.
Er konnte nun nicht mehr weiterlesen, es wurde zu dunkel. Also klappte er das Buch zu und schlich die Treppe hinunter. Als er an Jar’janas Zimmertür vorbeikam, hörte er sie leise singen. Verzaubert blieb er stehen und lauschte den unbekannten Worten. Er hörte Lume’tai weinen. Er hatte schon die Hand auf der Türklinke, da hörte er jemanden die Treppe heraufkommen. Johann flitzte um die Ecke, in der Hand eine eigenartige Flasche. Er steuerte auf ihr Zimmer zu.
»Was machst du da?«, fragte Philip, als sein Bruder die Tür aufriss.
»Ich bring ihr die Milch, ich war doch deswegen gerade bei Elvira«, antwortete der gleichmütig.
»Wieso?«, fragte Philip einfältig.
»Mutter hat gesagt, ich soll es tun, und das habe ich gemacht. Ist doch ganz klar.«
Ja, das passte zu Johann. Alles was er zu erledigen hatte, tat er, ohne nachzufragen. Jetzt ging er direkt auf das Bett zu und überreichte Jar’jana die Flasche. Sie nahm sie und stellte sie beiseite.
»Danke«, sagte sie und wandte sich mit unverhohlenem Interesse dem Jungen zu. »Wer bist du?«
»Ich bin Johann«, sagte er schlicht.
»Du bist ein Kind!«
»Ja«, antwortete er und grinste.
»Ihr seid viele Geschwister?«
»Sechs«, erwiderte Johann. »Hast du die noch nicht gesehen?«
»Nein.« Jar’janas Stimme war leise, aber klar, und Neugierde schwang in jedem Ton mit.
Philip hatte seinen Standort gewechselt und konnte nun einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Sie sah sehr erschöpft aus, aber sie saß in ihrem Bett.
Johann stürmte aus dem Zimmer.
»Geh rein, sie will uns kennenlernen«, sagte er und rannte die Treppe hinunter, wobei er laut die Namen seiner Brüder rief.
Philip trat unschlüssig von einem Bein aufs andere und traute sich nach den Ereignissen des Nachmittags nicht, das Zimmer zu betreten.
»Philip«, sagte sie. »Komm doch herein.«
Sie kannte seinen Namen! Sofort begann sein Herz zu rasen. Willenlos gehorchte er ihr.
»Ich höre eure Stimmen. So viele Kinder wohnen hier. Auch draußen höre ich die Kinder.« Sie seufzte leise. Lume’tai fing wieder zu weinen an.
Er hob das Kind aus der Wiege und gab es Jar’jana. Ihre Hände streiften seine. Die Berührung fuhr ihm durch den ganzen Körper. Mit hochrotem Kopf und jagendem Herzen reichte er ihr die Flasche, die Johann gebracht hatte. Ihre Spitze hatte Ähnlichkeit mit einer Ziegenzitze. Philip konnte sich nicht erinnern, dass seine Brüder je so etwas benötigt hätten.
Lume’tai hielt offensichtlich auch nichts davon. Greinend drehte sie den Kopf zur Seite.
»Ich hole meine Mutter«, sagte er, doch die stand
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