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Neonazis in Nadelstreifen

Neonazis in Nadelstreifen

Titel: Neonazis in Nadelstreifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Andrea und Speit Roepke
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wurden mit Flaschen beworfen. Hinter dem Fenster der Wohnung beobachtete Saqib Mahmood das Treiben vor dem Haus, er musste mit anhören, wie der Mob skandierte: »Scheiß Türke, wir kommen hoch und machen dich fertig.« Die Angreifer stürmten daraufhin das Ladenlokal und verwüsteten die Einrichtung. Entsetzt und in Todesangst versteckte sich das deutsch-pakistanische Ehepaar in seiner Wohnung, als die wütende Menge auch noch glühende Kohlen eines Grills in den Laden kippte. »Wir hatten zum ersten Mal Angst um unser Leben«, berichtete die Familie später. Doch sie hatten Glück im Unglück, denn die Ladeneinrichtung fing kein Feuer.
    Der Mob zog weiter. Jetzt richtete sich die Gewalt gegen den Pavillon eines türkischen Händlers. Dessen Verkaufsstand wurde umgeworfen. Er selbst konnte sich vor den Flaschenwürfen und Schlägen der wildgewordenen Menschen nur durch die Flucht in sein Auto retten. Die örtliche Polizei reagierte, indem sie, mehr als eine Stunde nach dem ersten Hinweis auf mögliche Ausschreitungen und mindestens drei weiteren Anrufen, zwei Beamte zum Ort der Übergriffe schickte. Doch aus »Gründen der Eigensicherung«, so die offizielle Begründung später, zogen sich die Beamten nach einigen Flaschenwürfen auf ihr Revier zurück und warteten dort zunächst auf Verstärkung. Eine Kapitulation der Staatsgewalt vor dem braunen Pöbel, begründet mit Dienstvorschriften? Tatsächlich traf die Verstärkung erst kurz nach 5 . 00 Uhr in Bützow ein und ging gegen den Rest der Randalierer vor. Statt Festnahmen wurden lediglich die Personalien von einigen der Gewalttäter aufgenommen. Später sollte der Inspekteur der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern Rudolf Springstein gegenüber der »Ostsee-Zeitung« einräumen: »Wäre der erste Anruf ernst genommen worden und hätte man die Polizisten zurückbeordert, hätte vieles verhindert werden können.« Doch die Pannen der Polizei gingen weiter. »Ein ausländerfeindlicher Hintergrund ist für mich vordergründig nicht erkennbar«, so Güstrows Polizeichef Henkel. Dies trotz der szenetypischen Kleidung der Angreifer – einer trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Waffen- SS « – und der ausländerfeindlichen Parolen. Auch der Staatssekretär im Schweriner Innenministerium, Thomas Lenz, verneinte »einen zielgerichteten fremdenfeindlichen Hintergrund« der Ausschreitungen. Maik Oswald von der Kripo Rostock erklärte später öffentlich, die Ursache der Ausschreitungen habe ausschließlich am Alkoholkonsum der Randalierer gelegen.
    Die Bützower Stadtvertreter waren da schon weiter. In einem Offenen Brief erklärten sie, dass an den Ausschreitungen Personen beteiligt gewesen waren, »die eindeutig der rechtsextremen Szene zugeordnet werden können«, und es kein Zufall gewesen sei, »dass der Imbiss eines Deutsch-Pakistaners angegriffen wurde«. Sie stellten unmissverständlich klar: »Seit vielen Jahren ist uns das Vorhandensein einer gewaltbereiten rechten Szene in Bützow bekannt.« Drei Wochen nach der Tat waren zwar einige Gewalttäter bekannt, aber die Ermittlungsbehörden konnten keinen »Tatbestand einer bestimmten Person« zuordnen. Die Ermittlungen drohten im Sande zu verlaufen. Dann wurde Saqib Mahmood ein Video zugespielt. Auf diesem ist der Übergriff dokumentiert. Es zeigt, wie fünf Männer die Jalousie des Ladens eintreten und dabei »Deutschland den Deutschen« skandieren. Das Opfer brachte dann selbst Bewegung in die Ermittlungen, indem es das Video den ermittelnden Polizeibehörden übergab und den öffentlichen Druck damit erhöhte. Auch Bützows Bürgermeister kennt inzwischen das Video. Sein ernüchterndes Fazit: Das sei »eindeutig Ausländerfeindlichkeit«. Auch die Staatsanwaltschaft konnte nach einer ersten Sichtung des Videomaterials nicht mehr ausschließen, »dass sich bei dem Angriff auf den Laden eine ausländerfeindliche Motivation entwickelt hat«. Bis dahin hatten die Ermittler nur von Schmährufen gegen Polizeibeamte gesprochen.
    Am 10 . Dezember 2007 erhob die Rostocker Staatsanwaltschaft Anklage gegen sechs Tatverdächtige wegen schweren Landfriedensbruchs und des Versuchs der gefährlichen Körperverletzung. Gegen weitere Tatverdächtige wird noch ermittelt. Bützows Bürgermeister Lothar Schoppe scheint nicht überrascht über den Gewaltexzess in seiner Stadt. Gegenüber der »Schweriner Volkszeitung« erklärte er: »Was sich vorher andeutete, ist brutale Realität geworden.« Roswitha Dargus, Ausländerbeauftragte

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