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Neongrüne Angst (German Edition)

Neongrüne Angst (German Edition)

Titel: Neongrüne Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Vorurteilen entstanden, die er gegenüber Models hatte, die er, nachdem er einmal Heidi Klums Sendung gesehen hatte, für völlig verblödet hielt.
    Jetzt bereute er fast, diese Frage gestellt zu haben. Sie kam ihm gemein vor.
    Doch die Erntekönigin antwortete, ohne nachzudenken: »Das beste Buch, das ich im letzten Jahr gelesen habe, war zweifellos ›Der Reime-Eimer‹ von Manfred Schlüter. Das ist allerdings kein Roman, sondern …«
    »Sie lesen Gedichte?«, fragte Leon, und dabei entglitten ihm sämtliche Gesichtszüge.
    »Ja. Sie nicht?«
    Er räusperte sich. »Ich, ähm, nein, also … hm … Ich stehe mehr auf Kriminalromane.«
    Sie nickte wissend, als sei das typisch für junge Männer wie ihn.
    »Ja, also, und im Moment, da lese ich Matthias Kehle, Jürgen Völkert-Marten …«
    Sie zählte noch mehr Namen auf, aber er hörte nicht mehr zu.
    Sie lachte. »Jetzt habe ich Sie verblüfft, stimmt’s?«, fragte sie. »Sie haben gedacht, ich sei so ein Doofchen, das nur gut aussieht und außer Kosmetik und Fasten nichts im Kopf hat. Irrtum.« Sie winkte ab. »Meine Mutter sagt immer, früher reichte es, wenn man als Frau gut aussah, um für Männer interessant zu sein. Heute muss man auch noch blöd sein.«
    »Ich … ich … ich bin nicht so einer«, stammelte er. »Ich mag intelligente Frauen. Und überhaupt intelligente Menschen. Also ich …«
    »Wenn Männer nicht lesen und kein Gefühl für Sprache haben, dann geht bei mir gleich die Klappe runter«, sagte sie. »Damit fallen für mich neunzig Prozent aller geschlechtsreifen Männer schon mal aus.«
    Leon pustete. Wurde er jetzt gerade zum zweiten Mal an diesem Tag so heftig angebaggert? Würde aus dem Interview ein Rendezvous werden?
    Sie sollte gleich auf einem Bauernhof über gesunde Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft sprechen. Eine Kindergruppe war eingeladen, breitete sie in schönem Schriftdeutsch vor ihm aus, aber er schrieb nicht mit, sondern sah ihr tief in die dunkelbraunen Augen. Mit ihren Wimpern zuckte sie so sehr, dass er nicht genau wusste, ob es eine unwillkürliche Bewegung war oder ob sie ihm zuzwinkerte. Es war beides möglich.
    Machen Frauen das so?, fragte er sich. Ist mir das früher immer entgangen, und es fällt mir erst heute auf? Oder war ich früher für Frauen einfach vollkommen uninteressant? Wieso musste ich bis vor kurzem Mädchen endlos beflirten, damit sie mal mit mir ausgingen? Jetzt habe ich scheinbar Chancen wie Brad Pitt …
    Da erhielt er eine SMS von Johanna:
    Wir müssen verhindern, dass die Achterbahn fährt.
    Er wird sie aus dem Looping fliegen lassen und einen
    Riesenunfall inszenieren.
    »’tschuldigung«, sagte Leon zu der Erntekönigin, »aber ich muss antworten.«
    Leicht pikiert nahm sie eine andere Körperhaltung ein und sah jetzt deutlich abgegrenzter aus. Ihre Lockerheit war verflogen.
    Während er in sein Handy tippte, sagte sie: »Ich steh nicht so auf Multitasking, weißt du. Ich meine, da fühlt man sich doch als Frau so richtig wertgeschätzt, wenn man sich beim ersten Date mit einem Typen trifft und der guckt mehr auf sein Handy als auf …«
    Er sah hoch. »Das ist hier kein erstes Date, sondern ein Interview.«
    »Dann interviewen Sie mich doch.«
    Dreh jetzt nicht durch, schrieb er.
    Es ist alles in Ordnung.
    Der lässt keine Achterbahn entgleisen,
    sondern macht sich einen Termin
    beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt.
    Als er von seinem Handy wieder hochsah und es in die Tasche steckte, saß vor ihm nicht mehr die offene, fröhliche, belesene junge Frau, sondern ein Kühlschrank mit brummendem Eisfach.
    »Okay«, gab Leon zu, »ich habe den Anfang unseres Gesprächs völlig vergeigt. Sie sind ein ganz anderer Mensch, als ich dachte, aber meine Vorurteile werfe ich jetzt über Bord, und wir fangen noch einmal von vorne an. Einverstanden?«
    Sie betrachtete ihn abschätzig und wog ab, ob sie ihm noch eine Chance geben sollte. Dann tat sie es.
    Mit ironischem Lächeln sagte sie: »Sagen Sie mir Ihr Lieblingsgedicht auf, das nehme ich dann als Entschuldigung an, und wir machen weiter.«
    »Mein Lieblingsgedicht? Ja, wie …?«
    »Na, das ist doch nicht schwer. Ihr Lieblingsgedicht halt.«
    Er sah sie verdattert an.
    Um ihm zu demonstrieren, wie einfach es war, zitierte sie:
    »Eine endlos lange Leiter
    zu den Sternen und noch weiter
    mal ich mir und steig hinauf.
    Vielleicht ist noch jemand auf
    und kann mir auf zwei, drei Fragen,
    die mich plagen, etwas sagen.
    Das ist im Moment mein

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