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Neongrüne Angst (German Edition)

Neongrüne Angst (German Edition)

Titel: Neongrüne Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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für sie eingesetzt hatte.
    In der Plastiktüte, die sie fest gegen ihren Körper drückte, lag auch eine kleine Papiertüte, in die sie notfalls hineinatmen konnte. Jetzt versuchte sie es genau so, wie Pit es ihr empfohlen hatte. Sie sog den Sauerstoff tief in den Bauch, bis ihr Bauch sich vorwölbte, und dann atmete sie langsam durch den Mund wieder aus.
    Ich werde das alles überleben, dachte sie. Irgendwann ist auch der größte Scheiß vorbei. Irgendwann hat jeder Terror ein Ende.
    Die Besoffenen grölten jetzt hinter ihr her. Der eine wollte unbedingt Feuer von ihr, der andere brüllte: »Mutter, schmeiß dein Kind weg, ich mach dir ein neues!«, was er wohl unheimlich witzig fand, denn er giggelte laut über seinen eigenen dummen Spruch.
    Wie besoffen muss einer sein, um zu glauben, dass ich hier ein Kind spazieren führe, dachte sie. Dann erst fiel ihr auf, dass man den Plastikbeutel in ihren Armen durchaus mit einem Baby hätte verwechseln können.
    In Gedanken versunken, lief sie weiter. Schließlich drehte sie um und lief in der Mitte dieser schnurgeraden Straße zurück in Richtung Theaterplatz.
    Das Theater war hell erleuchtet, wie eine Sonne, die im Pflaster der Straße unterging, während ein Schiff, an dessen Mast ein junges Mädchen hing, die Wellen zerpflügte und auf den Sonnenuntergang zufuhr.
    War es das?, fragte sie sich. Ist die Sache damit erledigt? Hat er bekommen, was er wollte?
    Kann ich jetzt gehen?
    Wie lange muss ich hier noch rumlaufen?
    Wird er mir irgendwann ein Signal geben, dass ich aufhören kann?
    Oder sitzt er irgendwo und wartet ab, wie lange ich es durchhalte, bis meine Beine schlappmachen?
    Lässt er mich jetzt hier bis zum Morgengrauen auf und ab gehen?
    Der Nieselregen hatte aufgehört, und ein Wind von Norden fegte Zeitungsblätter über die Straße.
    Johanna war schon wieder auf der Höhe der Gedächtniskirche, als das Handy zum zweiten Mal vibrierte.
    Diesmal war es besonders peinlich. Die Gruppe junger Leute, die vorher noch vor dem Da Capo gestanden hatte, kam ihr entgegen. In ihrer Mitte Jessy Schmidt.
    Ich kann das nicht machen, dachte sie. Um Gottes willen, nicht jetzt! Ich werde einfach noch fünfzig Meter weiterlaufen und den Mantel dann erst öffnen. Aber nicht hier vor Jessys Augen.
    Doch dann blieb die Gruppe stehen, weil einer sich eine Zigarette anzünden wollte, und der Wind sein Einwegfeuerzeug ausblies. Die anderen stellten sich drumherum, zogen ihre Jacken über die Köpfe und bildeten einen Windschutz für den Raucher.
    Natürlich wusste Johanna, dass es nicht so war, doch es kam ihr so vor, als würde die Vibration des Handys in ihrer Tasche immer heftiger werden. Es schlug gegen ihren Körper und pochte gegen ihren Hüftknochen.
    Da war eine Stimme in ihrem Gehirn. Du machst ihn sauer, Johanna. Er mag es nicht, wenn man ihn warten lässt. Wahrscheinlich hat er genau diese Situation ausgesucht. Er will sehen, ob du exakt tust, was er sagt. Er beobachtet dich. Vielleicht müssen all diese jungen Leute sterben, weil du ihn warten lässt.
    Wie wirst du dich fühlen, wenn morgen in der Zeitung steht, dass einer von ihnen überfahren wurde? Oder vielleicht rast ja ein Auto in die ganze Gruppe hinein …
    Das Irre an dieser Situation war, dass sie jetzt vielleicht das Leben von denen retten würde, von denen sie sich hinterher für genau diese Aktion verspotten lassen müsste. Sie war kurz davor zu rufen: »Seht her, ich tue es doch nur für euch!« Doch sie machte es nicht.
    Sie ging ein bisschen zur Seite, nicht mehr ganz so, wie er befohlen hatte, in der Mitte der Straße, sondern weiter links, da wo die Kirche stand. Dann öffnete sie den Mantel so, dass sie nach links Einblick bot, nach rechts aber den Stoff hielt wie ein Segel. Dabei nutzte sie den Plastikbeutel noch einmal als Schutz gegen die Blicke aus Jessys Gruppe. Dafür bekamen die beiden Besoffenen vor dem Kirchplatz jetzt was zu sehen.
    Dem Glatzkopf mit dem Bierbauch fiel die Flasche aus der Hand. Sie klirrte auf den Boden, und er stammelte: »Guck mal, Hein, die da.«
    Hein taumelte direkt ein paar Schritte in Johannas Richtung, öffnete beide Arme und freute sich: »Mein Schutzengel ist gekommen, um mich zu holen. Nimm mich mit, mein Engel, nimm mich mit! Die hier unten auf der Erde waren nicht lieb zu mir!«
    Johanna schloss den Mantel und rannte. Sie wusste, dass die beiden Betrunkenen ihr nichts tun würden. Sie waren kaputte Gestalten, aber auf ihre Weise harmlos. Sie hatte sie schon oft

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