Neongrüne Angst (German Edition)
konnte und der, von ihm gedemütigt, dem allgemeinen Spott preisgegeben war. Johanna vermutete, dass er das nur tat, um nicht selbst in diese Situation zu geraten. Einer musste wohl immer den Deppen spielen, und er hatte große Angst, in diese Rolle zu geraten.
Er hatte sich Stefan als Opfer ausgeguckt. Er nötigte ihm schon den zweiten Altleher Hahnentritt auf. Stefan war so starken Alkohol nicht gewöhnt, und obwohl er vorher Pommes mit Mayo gegessen hatte, schoss ihm das Zeug augenblicklich ins Blut. Er bekam rote Ohren, und ihm wurde ganz komisch.
Die anderen wurden, wenn ihnen Alkohol zu Kopf stieg, lustig. Manche aggressiv. Stefan wurde es einfach nur schlecht.
Er flüchtete sich in die Küche zu Leon und Johanna. Leon gab ihm mit Blicken zu verstehen, dass er hier im Moment gar nicht gern gesehen war, aber hier war er wenigstens vor Volker sicher, denn der wich Leon aus.
Obwohl die Baguettes noch gar nicht richtig heiß waren, holte Johanna sie aus dem Backofen, nahm ein großes, zackiges Brotmesser und schnitt das erste Baguette in Scheiben. Dabei benutzte sie das Messer wie eine Machete, als ob sie sich damit einen Weg durchs Dschungelgestrüpp bahnen müsste.
Sie legte ihre ganze Wut und Verzweiflung in die Zubereitung der Bruscetta und griff zu dem Glas mit dem Aufstrich aus Tomatenstückchen, Olivenöl und Knoblauch. Der Schraubverschluss bewegte sich keinen Millimeter. Stefan verspürte zwar den Impuls, ihr zu helfen, ließ aber Leon den Vortritt, so wie er immer andern den Vortritt ließ, um nicht negativ aufzufallen.
Leon streckte die Hand nach dem Glas aus, doch Johanna drehte sich um, stieß mit der Messerspitze durch den Deckel, und gleich ließ sich das Bruscettaglas mühelos aufschrauben.
»Kann ich einen Schluck Wasser trinken?«, fragte Stefan.
»Ja, wir haben eine Kiste Sprudel da unten im Schrank stehen. Aber es gibt Besseres.«
»Nein, mir reicht Leitungswasser«, sagte er, beugte sich über den Hahn und hielt den Mund unter den Wasserstrahl. »Mir ist schlecht von diesem Likör.«
»Lass dich bloß von Volker nicht abfüllen. Das ist seine Methode. So macht er es immer. Er schwatzt Leuten Drogen auf, und wenn sie dann dranhängen, hat er sie an der Leine.«
Leon kam sich blöd dabei vor, Volker jetzt zu verteidigen, aber er tat es trotzdem: »Das ist doch nur Likör …«
Johanna sah ihn an, als hätte sie es mit einem Schwachsinnigen zu tun. »Ja, er will ihn ja auch nicht davon abhängig machen. Ich sage nur, das ist seine Methode. Es ist so etwas geworden wie eine Charaktereigenschaft, und ich fürchte, mit meinem Bruder hat er es auch so gemacht. Oder was glaubst du, warum der jetzt hier auf der Fete rumrennt?«
»Dein Bruder nimmt keine Drogen.«
Johanna äffte Leon nach: » Dein Bruder nimmt keine Drogen! Woher soll ich das denn wissen? Gibt es für diese irre Situation hier sonst noch eine Erklärung?«
»Mein Gott«, verteidigte Leon sich. »Volker ist eben ein blöder Angeber! Er will allen zeigen, dass er mehr verträgt als sie. Dazu braucht er immer einen, der weniger verträgt. Jetzt ist es halt Stefan. Ich hab mich auf solche Spiele nie mit ihm eingelassen.«
Plötzlich hatte Johanna einen verbitterten Zug um den Mund, der sie viel älter aussehen ließ, als sie eigentlich war.
»Ja, Spiele«, sagte sie, als würde sie zu dem Brot sprechen. »Ihr spielt immer Spiele. Aber dabei bleiben Menschen auf der Strecke.«
Sie ordnete die Weißbrotscheiben auf einem Teller an und häufte den Aufstrich darauf. Dann würfelte sie eine frische Tomate und steckte davon noch Stückchen auf jedes einzelne Brot. Während ihre Hände eine ganz normale Hausarbeit verrichteten, sah sie im Gesicht aus, als würde sie gleich abdrehen und irre werden.
Wenn sie so weitermacht, dachte Leon, wird sie tatsächlich noch in der Psychiatrie landen. Ihre Haut kam ihm dünn und angespannt vor, so als könnte die kleinste Berührung sie zum Platzen bringen.
Es klingelte, und neue Gäste kamen. Sofort ließ Johanna von ihrer Arbeit ab und stellte sich so in die Küchentür, dass sie den Flur im Blick hatte. Und was sie dann sah, tat ihr gar nicht gut. Da war sie – die Kassiererin aus dem Supermarkt mit der Scarlett-Johansson-Frisur.
Jetzt war es für Johanna, als würde in einem dunklen Raum jemand das Licht anmachen. Plötzlich sah sie ganz klar. Natürlich – die ganze Bande hier arbeitete zusammen. Und diese Party wurde nur gegeben, damit sich alle gemeinsam auf ihre Kosten amüsieren
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