Neonträume: Roman (German Edition)
sie ausgerechnet in dem auftauchen, in dem ich gerade bin? Solche Koinzidenzen kann ich nicht ab. Dazu fällt mir auch gleich die nächste Volksweisheit ein: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Aber solche Sprüche überlassen wir wohl besser den Kolchosbauern.
Ich wage wieder einen vorsichtigen Blick durch den Türspalt. Weder von Rita noch von Lena eine Spur. Wahrscheinlich ist Erstere im Restaurant, Letztere draußen. Oder umgekehrt, hi, hi, hi. Ich hole tief Luft, reiße die Tür auf und sprinte durch den kleinen Vorraum zum Ausgang. Lena steht auf der Straße und dreht ihr Handy in der Hand.
» Oh, gerade wollte ich dich anrufen…«
» Ich war auf der Toilette, und als ich rauskam, warst du nicht mehr da«, sage ich und ziehe sie an der Hand in die nächste Seitengasse. » Gehen wir ein bisschen spazieren? Heute ist so ein wunderschöner Abend. Ein ganz besonderer Abend…«
» Du bist ja heute so romantisch!« Lena drückt sich an mich. » Ein kleines Wunder!«
Wir schlendern durch die Gassen bis zum Gartenring. Dort halten wir ein Taxi an. Kaum haben wir uns auf den Rücksitz fallen lassen, legt Lena den Kopf an meine Schulter und schläft ein. Wir biegen vom Gartenring in die Petrowka-Straße ein und ich überlege, ob ich nicht Vadim mit seinem bescheuerten Auftrag zum Teufel schicken und mich gleich heute von Lena trennen soll. Zu Hause abliefern– und tschüss. Aber vielleicht ist sie ja gar nicht schwanger? Wozu dann das ganze Gehetze? Irgendwie kompliziert alles…
An einer Hauswand sehe ich plötzlich wieder diesen blöden Schriftzug: WARUM ?
» Genau«, sage ich laut.
» Was ist?« Lena ist wach geworden. » Hast du was gesagt?«
» Nein, nein, das hast du geträumt.«
» Ja? Na, egal.« Sie lehnt ihre Stirn an die Fensterscheibe. » Was für ein herrlicher Abend, findest du nicht?«
» Ja, Häschen«, nicke ich, nehme sie in den Arm und sehe auf die Uhr.
Zehn vor acht. Bis zu meinem Treffen mit Katja bleibt noch etwas mehr als eine Stunde.
De r Geburtstag
Ich lasse das Taxi an der Metrostation Kropotkinskaja anhalten, nehme die Mädchen auf, und wir fahren bis zu dem anvisierten Haus im Ostoschenka-Viertel. Wir suchen den zweiten Aufgang, ich drücke die 18 auf der Klingelanlage. Der Summer ertönt, die Tür geht auf.
» Will der denn gar nicht wissen, wer geklingelt hat?«, fragt Katja.
» Komisch!«, echot ihre Freundin.
» Das sind sehr gastfreundliche Leute«, grinse ich. » Ihre Tür steht immer offen!«
Wir kommen an dem Wächter vorbei, ich nenne ihm die Wohnungsnummer und den Namen des Wohnungseigentümers, der Wächter nickt feixend. Während wir auf den Fahrstuhl warten, sieht Katja mich ängstlich an und fragt:
» Andrej, ist es da auch nicht gefährlich?«
» Was?« Im ersten Moment kapiere ich gar nicht, was sie meint. » Ach so, natürlich nicht. Hier sind wir so sicher wie in der Geschäftsstelle von Gazprom.«
Die Antwort scheint sie zu beruhigen, jedenfalls steigen sie ohne weitere Fragen in den Fahrstuhl.
Im zweiten Stock klingele ich an der Tür der Wohnung Nummer 18. Klingel nochmal. Ein drittes Mal. Dann ein viertes Klingeln. Die Mädchen fangen an zu flüstern und sehen mich verstohlen von der Seite an.
» Die Musik ist zu laut«, versuche ich zu scherzen. » Da hört uns kein Schwein.«
Ich klingele ein fünftes, ein sechstes, ein siebtes Mal. Langsam werde ich sauer. Ich krame mein Handy raus, um Ljocha anzurufen, aber in dem Moment fliegt die Tür auf, Ljocha steht vor uns und glotzt uns aus betrunkenen Augen an. Hinter ihm in der Wohnung wummert Mattafix– » Big City Life«:
» Big city life
Me try if get by,
Pressure nah ease up no matter how hard me try
Big city life,
Here my heart have no base
And right now Babylon de pon me case.«
» Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sage ich und überreiche ihm die Mädchen, will sagen, stelle sie ihm vor. » Sehr angenehm«, sagen alle brav im Chor. Wir treten ein.
» Also Mädels, immer geradeaus ins Wohnzimmer. Bleibt dicht hinter mir, die Wohnung ist groß und unübersichtlich, sie hat zwei Etagen, ihr könntet euch verlaufen«, rappelt er wie ein Maschinengewehr herunter. » Dafür gibt es vier Toiletten. Sehr praktisch. Oben sind hauptsächlich Schlafzimmer«, erläutert er weiter. » Unten sind die Küche, das Wohnzimmer und noch ein paar andere Räume. In der Hälfte davon war ich selber noch nicht.« Er lächelt charmant. » Ich lebe meistens außerhalb der Stadt. Die
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