Neonträume: Roman (German Edition)
ich den Szene-Dealern verscherbeln.
Am anderen Ende des Tresens stehen Vlad von der Zeitung Afischa, Sergej, der Zuhälter, und Stas, der Dealer. Wir begrüßen uns. Als ich mich dem Mädchen vorstellen will, glotzt sie durch mich hindurch und sagt nur: » Auf dem Tresen.« Mir ist klar, dass nähere Erklärungen von ihr nicht zu erwarten sind, also drehe ich mich um: Über die gesamte Länge der wahrlich nicht kleinen Tresenplatte zieht sich in großen weißen Buchstaben ein Schriftzug:
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH !
Tja, eigentlich nicht weiter bemerkenswert, wenn man davon absieht, dass von den letzten beiden Buchstaben nur noch die Konturen übrig sind, und dass der ganze Spruch aus purem Kokain besteht.
Ljocha, der sieht, wie sich meine Augen zu großen, runden Untertassen weiten, tritt neben mich, legt mir die Hand auf die Schulter und fragt in nüchternem Tonfall, als ginge es um seinen neuen Fernseher:
» Na, was sagst du dazu, nett, was?«
» Ja«, sage ich mit trockenem Hals. » Wirklich nett. So akkurat. Und wer hat das Bildchen gemalt?«
» Ach, ein paar Freunde wollten mir was Selbstgebasteltes schenken, von wegen Kreativität und so«, erklärt Ljocha grinsend.
» Das haben sie aber gut hingekriegt«, bestätige ich. » Sie sollten Lesefibeln für unsere Kleinen entwerfen.«
Ljocha lacht wiehernd, auch Vlad und Sergej fangen an zu gackern. Die beiden Jeans-Typen unterbrechen ihr Maybach-Porsche-Thema, stimmen ein serviles Gegacker an und prosten dem Geburtstagskind zu. Nur das Mädchen am Fenster singt unbeirrt weiter und tänzelt einsam vor sich hin. Mir geht es wie Öl runter, dass mein Scherz so gut angekommen ist, vor allem bei Ljocha. Um meinen Status als Held des Abends und Busenfreund eines Oligarchen zu konsolidieren, reite ich das Thema noch ein bisschen weiter:
» Wo lernt man so was? Oder ist das angeborenes Talent?«
Ljocha hat inzwischen einen Geldschein zusammengerollt, beugt sich über den Tresen und nimmt einen kräftigen Sniff. Dann schaut er mich mit ein wenig müden, aber gutherzigen Augen an, hält mir das Geldscheinröllchen hin und sagt einfach:
» Räumst du einen Buchstaben ab?«
In diesem Moment spannt sich eine gefühlsmäßige Brücke zwischen uns. Wir schwimmen beide plötzlich auf einer Welle gegenseitigen Vertrauens und grenzenloser Gastfreundschaft. Eine zauberhafte Atmosphäre, und ich begreife, während ich den Schein aus seiner Hand nehme, dass ich jetzt unbedingt etwas sagen muss. Tausend Varianten schießen mir kreuz und quer durch den Schädel wie ein Schwarm Mücken im Einmachglas, von » Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag« bis » Die Jugend ist bereit, den Staffelstab zu übernehmen«, aber gerade als ich mich anschicke, mit Verve zu rufen » Gebt den Weg frei für die Jugend!«, reißt plötzlich das Mädchen am Fenster den rechten Arm in die Höhe, verdreht ihren Körper in einer Art grotesken Tanzpose und fällt mit dem Schrei » She’s a Superstar« wie ein gefällter Baum vornüber aufs Gesicht. Sofort konzentriert sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie.
» Umwerfendes Geräusch!« Mehr bleibt mir nicht anzumerken. Dann ziehe ich meine Line.
» Geil«, sagt Sergej, der Zuhälter.
Alle betrachten noch ein Weilchen die am Boden Liegende, dann werden die unterbrochenen Gespräche wieder aufgenommen.
» Ich gucke mal nach meinen Gästen«, murmelt Ljocha und verzieht sich aus der Küche.
Sergej, Vlad und ich folgen ihm. Beim Hinausgehen drehe ich mich noch einmal um und sehe, wie einer der Jeans-Typen gerade über das Mädchen steigt, um sich ein Glas Wasser aus dem Wasserspender zu holen, der auf dem Fensterbrett steht. Eigentlich ist die Küche zu klein, denke ich. Dann fällt mir ein, dass ich den Track » She’s a Superstar« vor kurzem auf einem Festival mit der hübschen DJ ane Lottie gehört habe.
» Sag mal, Ljocha, wo ist denn hier das Klo?«, frage ich.
» Wozu brauchst du ein Klo? Ist doch alles in der Küche«, meint er irritiert.
» Ich brauche eben einen Lokus, um nach altem Brauch meine Notdurft zu verrichten«, präzisiere ich.
» Ach so, sag das doch gleich! Geh bis zum Ende des Ganges und dann rechts.«
Auf dem Weg zur Toilette komme ich an einer offenen Bogentür vorbei. Aus dem dahinter liegenden Zimmer tönt » Lift Me Up« von Moby und dazu die Stimme von einem Typen, der laut mitsingt.
Vorsichtig, um nicht zu stören, schiebe ich mich vorbei, biege um die Ecke und erreiche den großzügigen, kombinierten
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