Neonträume: Roman (German Edition)
und mich auf der Stelle in den Patriarchenteichen ersäufen?
» Ich bring dich nach Hause, und dann fahr ich zu meinem Vater. Ich muss ihn sofort davon in Kenntnis setzen, dass er demnächst Opa wird.« Das scheint mir kein schlechter Vorwand zu sein, diesen denkwürdigen und– scheiße!– hinreißenden Abend zu beschließen.
» Bleibst du heute bei mir?« Lena schaut mit betrunkenen Augen zu mir auf.
Und wer trifft sich dann mit Katja? Väterchen Frost?
Ich reibe mir verlegen die Nase.
» Honey, ich weiß ja nicht, wie das hier in Russland so üblich ist, aber im Westen überbringt man die freudige Nachricht als Erstes seinen Eltern. Der alte Herr wird überglücklich sein. Übrigens, es wird höchste Zeit, dass wir uns mal gegenseitig mit unseren Eltern bekannt machen. Don’t you think so?«
» Du kannst Gedanken lesen!«, ruft Lena lachend. » Dann kannst du meiner Mutter gleich erzählen, dass sie endlich ein Enkelkind bekommt! Sie nervt mich schon ständig: Lena, du wirst doch nicht jünger! In deinem Alter hab ich schon längst… und so weiter. Sie wird sich liebend gern um unser Kind kümmern. Ich möchte jedenfalls nach der Geburt so schnell wie möglich wieder arbeiten. Ach, gut, dass ich ganz offiziell angestellt bin, so bekomme ich richtigen Schwangerschaftsurlaub. Meine Freundin zum Beispiel…«
Und weiter geht’s im Takt. Erst rührselige Geschichten von armen Freundinnen, die ohne eine Kopeke Mutterschaftsgeld daheim in ihren Villen sitzen und so weiter, und dann schwenkt sie nahtlos über zum Thema Kinderkleidung, Babysitting, Kinderkrankheiten. Innerhalb der nächsten zwanzig Minuten läuft unser gesamtes Eheleben von der Wiege (oha) bis zum Grabe vor meinen Augen ab, und am Ende habe ich das Gefühl, ich würde nicht Vater, sondern Großvater, und ich sitze hier mit meiner lieben, betagten (und irgendwann vor langer, langer Zeit einmal sehr schönen) Gattin und trinke ein Weinchen auf die Ankunft unseres Enkelkindes. Aber inzwischen habe ich ja tatsächlich einiges an Wein intus, und in dem Zustand kann ich über jedes beliebige Thema geläufig genug plaudern, sei es über den Treibhauseffekt oder über Eileiterschwangerschaften. Aber nachdem wir unser künftiges Eheleben inklusive allen Fragen der Kindererziehung des Langen und Breiten besprochen und geklärt haben, würde ich unser Gespräch gerne mit dem Vorschlag beschließen, uns lieber zu trennen, bevor wir mit diesem Leben anfangen. Unser zukünftiges Leben, würde ich sagen, ist so vorhersehbar und durchgeplant, dass es sich gar nicht mehr lohnt, es noch zu leben. Versuchen wir doch lieber, es ganz anders zu machen, was meinst du, Häschen? Würde ich sagen. Und am besten lebt jeder sein eigenes Leben! Würde ich sagen.
Aber seltsamerweise ist es Lena, die unser wunderbares Gespräch beendet:
» Hör mal, ich glaube, ich habe einen Schwips! Lass uns zahlen!«
Mit dem größten Vergnügen, möchte ich laut losschreien, aber stattdessen winke ich nur wortlos dem Kellner.
Bevor wir das Restaurant verlassen, geht Lena noch einmal zur Toilette. Ich warte fünf, sieben, neun Minuten, starre aus dem Fenster und fange schon an, darüber nachzudenken, ob sie vielleicht Hilfe braucht, als plötzlich an meinem Fenster eine Gruppe von Menschen vorbeigeht, die ich kenne: Ritas Petersburger Freunde. An der Spitze der Truppe, mit dem forschen Schritt eines Reiseführers, der versehentlich Liquid Ecstasy geschluckt hat– Rita.
Schnell blicke ich zu den Toiletten hinüber, aber zum Glück ist von Lena noch nichts zu sehen. Ohne lange zu überlegen, verschwinde ich ebenfalls aufs Klo (ein Glück, dass sich die Toiletten neben dem Ausgang befinden!). Durch den Türspalt peile ich die Lage. Nichts zu sehen. Sind sie vorbeigegangen? Oder stehen sie vor der Tür und rauchen, wie Lehrlinge vor der Werkhalle? Ich höre, wie Lena die Toilette verlässt. Sie zögert vor dem Ausgang, schaut sich suchend um, geht zurück in den Gastraum, wieder zum Ausgang. Dort trifft sie auf Rita und die Petersburger. Mir wird eiskalt, rasch ziehe ich die Klotür zu und schließe die Augen. Wovor hast du denn Schiss, die kennen sich nicht! Ich frage mich bloß, welcher Teufel Rita geritten hat, ausgerechnet jetzt ins Pavillon zu gehen? Ihr solltet euch lieber einen vernünftigen Klub suchen! Ach ja, heute ist Sonntag. Na gut, dann meinetwegen ins Coffeemania oder ins Chocolat oder ich weiß auch nicht wohin. Es gibt siebenhundert Restaurants in Moskau, warum muss
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