Neonträume: Roman (German Edition)
hier hab ich nur für Partys.«
» Sehr praktisch«, nimmt Mascha sofort den Faden auf. » Dann müssen die Gäste nicht so weit fahren.«
» Im Gegenteil!«, stöhnt Ljocha gekünstelt und zieht eine Grimasse. » Die Leute hier sind doch fast alles Landeier. Unsere Schrebergärtner. Der ganze Rubljowka-Clan eben, um es mit einem Wort zu sagen.«
» Ahhhja«, nickt Mascha, als wäre das für sie alles ganz normal.
Wir erreichen das riesige Wohnzimmer. An zwei Wänden zieht sich ein gigantisches braunes Ecksofa entlang, auf dem es sich einige der Gäste halb liegend, halb sitzend bequem gemacht haben. Ich zähle acht Personen. Weitere Gäste sitzen auf großen quadratischen Lederkissen auf dem Fußboden. Die Stereoanlage überflutet alles mit etlichen Kilowatt Schall. In einer Nische gegenüber dem Sofa steht ein Plasma- TV , auf dem ein Tierfilm läuft. Wahrscheinlich auf Discovery. An einem der beiden großen Panoramafenster steht ein langer Aluminiumtisch, auf dem Getränke und Snacks angerichtet sind, vor dem zweiten ein DJ -Pult mit CD -Regalen.
» Hochverehrte Erholungssuchende!«, ruft Ljocha gegen die Musik an. » Wir haben Verstärkung bekommen. Mascha, Dascha und Andrjuscha! Die nächste Telenovela kann starten!«
» Katja«, sagt Katja freundlich, aber bestimmt.
» Was?« Ljocha sieht sie verdutzt an.
» Ich heiße Katja, nicht Dascha.«
» Katja, aber natürlich. Und was hab ich gesagt?« Er kratzt sich den Hinterkopf.
» Sie haben Dascha gesagt. Mascha, Dascha und Andrjuscha.«
» Wirklich? Hab ich das gesagt? Merkwürdig! Schön, wir wollen uns nicht streiten, oder?« Er hält ihr mit großer Geste die ausgestreckte Hand hin. » Wenn es dir Spaß macht, kannst du mich meinetwegen Sigismund nennen. Oder sonstwie, egal. Was dir gerade gefällt.«
» Ich werde Sie so nennen, wie Sie heißen, in Ordnung?«, sagt Katja, ohne sein Lächeln zu erwidern. » Und Sie mich so, wie ich heiße, okay?«
» Okay!«, sagt Ljocha brav. » Was für ein strenges Mädchen hast du da mitgebracht, Andrej!«
Katja wird rot. Mascha und ich lachen.
» Also, Mädchen, macht es euch bequem, es gibt ein kleines Büffet, bedient euch, und wenn es Probleme gibt, drückt den Notrufknopf, dann sind wir in einer Sekunde bei euch!« Ljocha verbeugt sich theatralisch, legt mir den Arm um die Schulter und zieht mich mit sich aus dem Wohnzimmer. Dabei flüstert er mir verschwörerisch ins Ohr: » Wir beide gehen erstmal in die Küche und ziehen zusammen eine fette Line! Was hältst du davon?«
» Hm-hm«, nicke ich. » Hör mal, Ljocha, danke nochmal für die zehn Riesen. Ende der Woche hast du sie zurück. Du hast mir echt aus der Klemme geholfen!«
» Lass stecken, Alter, heute Abend kein Wort über Geld!«, grinst er.
» Okay, okay. Aber sag mal, was ich noch fragen wollte. Diese Abkürzung auf deiner Einladung, LBP , was soll das eigentlich heißen?«
» Na ja, das ist nur für Eingeweihte: Low-Budget-Party. Das heißt ein netter, gemütlicher Abend ohne großen Zirkus wie Feuerwerk, Spritztour im Privatjet nach Monaco und den ganzen üblichen Firlefanz, du weißt schon.«
Als wir Ljochas High-Tech-Küche betreten, ist das Erste, das mir ins Auge fällt, ein langer, knallroter Bartresen, an dem mehrere Personen stehen und rauchen. Zwei praktisch identische Typen in zerfledderten Jeans analysieren anscheinend die aktuelle Automobilindustrie. Hinter ihnen, mit dem Rücken ans Fensterbrett gelehnt, ein Mädchen in kurzem rosa Kleid und hohen rosa Stiefeln. Aus irgendeinem Grunde sind die Reißverschlüsse der Stiefel offen, was in meinem Kopf ganz automatisch zwei Fragen aufwirft: 1) Tun ihr die Füße weh (weil sie schon lange hier ist)? Oder 2) ist das jetzt der Trend? (Hab ich etwas verpasst?) Ansonsten hat sie einen monströsen Kopfhörer auf und einen I-Pod in der Arschtasche. Sie schaukelt ihren Kopf zum Takt der Musik und singt laut mit, ohne sich um ihre Umgebung zu kümmern. Anscheinend traut sie dem Musikgeschmack des Hausherrn nicht besonders und hat deshalb ihr eigenes Programm mitgebracht. Es kann aber auch sein, dass ihre Kopfhörer tot sind, denn der Blick des Mädchens ist vollkommen glasig, was darauf hindeutet, dass sie sich in jenem Zustand befindet, in dem die Musik unmittelbar im Kopf entsteht. Ein Musterbeispiel des technologischen Fortschrittes im 21. Jahrhundert: permanent zugedröhnt, aber wireless. » Drug Stereo: Play your own music!«, fällt mir dabei ein. Ausgezeichneter Slogan. Den sollte
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