Neonträume: Roman (German Edition)
irgendeinem Ergebnis zu kommen, obwohl ich mir die aufgeilendsten Bilder abrufe; zum Beispiel Gruppensex mit einem Dutzend blutjunger Studentinnen, die alle aussehen wie Kylie Minogue. Das bringt mich dummerweise wieder auf Katja, und meine Laune ist unwiderruflich im Eimer. Fuck! Dieses dumme Stück! Diese Fotze! Alles hat sie mir kaputt gemacht! Nicht mal richtig wichsen kann ich mehr! Ich reiße die Shampooflasche vom Regal und krache sie an die Wand. Sie prallt zurück und zischt mir haarscharf an der Nase vorbei, ich kann eben noch ausweichen. Dabei sehe ich auf einmal in dem Spalt zwischen Waschmaschine und Wand– meinen verlorenen Pullover! Ich angle ihn heraus und entdecke am Ärmel ein riesengroßes Loch mit feuchten Rändern. Tja, der ist hin…
Alles schrumpft zusammen und wird irgendwie flüchtig, irgendwie vergänglich, wissen Sie, was ich meine? Dinge, die einem jahrelang treue Dienste geleistet haben, verwandeln sich innerhalb weniger Monate in Moder, Liebesgeschichten, die sich früher über Wochen hin ganz allmählich entwickelt haben, sind heute innerhalb von drei Tagen abgehakt und vergessen, vom ersten Blick bis zur letzten Träne. Selbst die Wirkung von Kokain ist nicht mehr als ein feuchter Furz. Alles scheint auf einmal bis zum Extrem gepanscht und gefaked, ob es Gefühle sind oder Drogen oder ein Pullover von Etro. Alles Fake.
Mir wird übel. Ich taumele aus dem Bad, schaffe es bis zum Sofa und lasse mich einfach fallen. Schlafen, nur schlafen. Irgendwo im Nirwana höre ich das Klingeln eines Handys. Ohne Präludium kreischt Ritas Stimme los: » Na, du Arschloch, hast du schön gefeiert? Hast du dein Telefon ausgeschaltet, damit dich keiner beim Koksen stört? Es gibt Neuigkeiten! Das Testergebnis ist da: Ich bin HIV -positiv. Vielen Dank, du Wichser!«
Ich ahne, dass das keine Einbildung ist, selbst mit noch so viel Alkohol und Drogen im Blut, würde mein Hirn wohl nicht solch eine Horrornachricht produzieren, trotzdem schalte ich das Handy ab– oder bilde mir wenigstens ein, es abzuschalten.
Montag
Die Probleme beginnen gleich früh am nächsten Morgen. Geweckt werde ich von diesen beschissenen Satanisten, indem ihr Anführer ins Telefon kreischt, er hätte meinen Brief immer noch nicht gekriegt und er hätte sich so darauf verlassen, mit mir eine konstruktive Zusammenarbeit aufzubauen, und jetzt ginge alles den Bach runter und das sei einfach so was von beschissen und so weiter. Als er mir dann sogar mit seinem Chef und mit der Miliz droht, sage ich ihm, mit Sekten wolle ich ohnehin nichts zu schaffen haben. Blödmann, echt! Ich möchte bloß mal wissen, wer mir den auf den Hals gehetzt hat!
Die Augen geschwollen von einem kolossalen Katerkopfschmerz mache ich ein paar vorsichtige Bewegungen, reibe die Füße aneinander, kratze mich an der Nase, schnappe mir eine (nicht besonders saubere) Serviette vom Nachttisch und putze mir die Nase, begutachte skeptisch das Ergebnis. Endlich stehe ich widerwillig auf, schwanke einige Sekunden lang, ob ich zuerst die Toilette oder den Kühlschrank ansteuern soll, entscheide mich für Letzteren. Ich reiße die Tür auf und greife mir eine Zweiliterflasche Cola. Normalerweise pflege ich dieses wahlweise schwarze, orange- oder karamellfarbene Ekelzeug nicht anzurühren, aber trotzdem finde ich immer wieder eine Flasche davon in meinem Kühlschrank. Wie es dahin kommt– keinen Schimmer. Ich stelle es jedenfalls nicht rein. Wahrscheinlich schleppen es irgendwelche Bräute an, oder meine sogenannten Freunde, denen es scheißegal ist, woran sie krepieren, an einer Überdosis, an Leberzirrhose, einem Autounfall oder bei einer Schlägerei in der Kneipe; oder eben an so einer Giftbrühe.
Egal, ich setze die Flasche an den Hals und schlucke. Ganz weit hinten in meinem Schädel piekt ein lästiger Erinnerungssplitter vom gestrigen Abend. Irgendwas Wichtiges war da. Was bloß? Katja? Nein, ich will nicht! Ich hasse das! Warum muss ich mich jetzt daran erinnern? Sofort werden meine Kopfschmerzen schlimmer.
O Gott, was ist bloß mit uns geschehen? Wir hatten eine fantastische Zukunft vor uns! Wie war ich bereit, mich völlig zu verändern! Meine Seele habe ich ihr geöffnet, habe meine Flügel ausgebreitet, ich wollte mich mit ihr in die Lüfte erheben! Und jetzt das! Die Depression packt mich heimtückisch von hinten und drückt mir die Luft ab. Soll ich mich in der Moskwa ersäufen? Ich fürchte nur, es wird niemandem auffallen. Man wird sagen, er ist nur
Weitere Kostenlose Bücher