Neonträume: Roman (German Edition)
kurz Zigaretten holen. Hm. Das war vor zwei Wochen. Wahrscheinlich irgendwo versumpft. Man kennt ihn ja. Und dann summt die Luft vor Gerüchten: Jemand hat mich angeblich in Petersburg gesehen, Arm in Arm mit einem Rudel versoffener Maler, oder als Tänzer in einem Schwulenklub. Ein anderer ist sicher, er hätte mich im Londoner Hyde Park erkannt: Ich stand auf einer Kiste und verkündete die Wiederkehr des fünfundzwanzigsten Shiva in Gestalt Batmans. Und so weiter und so weiter, ich kenne ja meine Pappenheimer. Dabei weiß jeder von denen, dass er eines schönen Tages ganz genauso vom Erdboden verschwinden kann, einfach so, sang- und klanglos. Und jeder hofft darauf, dass man ausgerechnet ihn nicht vergessen wird. Warum eigentlich?
Es kann aber auch anders kommen: Vielleicht wissen sie schon am nächsten Tag nicht mehr, dass ich überhaupt existiert habe. Was soll’s, ein Haufen Leute kommt und geht, Tag für Tag. Man kann sich unmöglich an alle erinnern. War da jemand? War da was?
O nein! Ich werde mich nicht ersäufen, jedenfalls nicht ohne Zeugen. Sang- und klanglos zu verschwinden, dafür bin ich nicht der Typ; wenn ich schon abtrete, dann mit Pauken und Trompeten.
Katja, Katja… Hätte ich gewusst, was du für eine bist.
Nachdem ich den ersten Durst gestillt habe, überlege ich mir, wie ich als Nächstes meine ästhetischen Bedürfnisse befriedigen kann. Ich gieße also Cola in ein Glas, gebe drei Eiswürfel aus Evian dazu, drapiere das Ganze mit ein paar hauchdünn geschnittenen Scheibchen Limette und schlurfe zu meinem Sofa. Nächster Schritt: an etwas Angenehmes denken. Zum Beispiel daran, dass nicht jeder sich zu den Top 100 der schönsten Menschen der Hauptstadt zählen kann. Schon gar nicht als Nummer 68. Und das mit schlappen siebenundzwanzig Jahren, so wie meine Wenigkeit! Ha! Es wird Zeit, dass ich mir ein cooles Motorrad zulege. Eine knallrote Dragstar! Damit pese ich dann morgens um vier über den Gartenring, mit einer heißen Braut auf dem Rücksitz, und dann im Morgenrot ab Richtung Côte d’Azur! Wenn ich in Nizza ankomme, höre ich mit meinem linken Ohr die laue Brandung des Mittelmeers, mit dem rechten » Satisfaction« von Benny Benassi in der Version von DJ Schuschukin.
Das bringt mich auf den Gedanken, dass ich langsam mal die Rufmelodie in meinem Handy ändern sollte, und von da aus komme ich zu der Frage, welcher Idiot mich eigentlich so früh anruft. Ich klebe mein Handy ans Ohr und sage mit absichtlich verschlafener Stimme: » Hallo!«
» Grüß dich!«
Vera, Wsjeslawskis Sekretärin. Warum so früh, verdammt noch mal? Ach ja, heute ist Montag, Abgabetermin für die Wochenplanung…
» Na, hab ich dich aus dem Bett geworfen, Schätzchen?«
» Nein, ich bin seit Stunden wach und warte nur darauf, dass meine herzallerliebste Vera anruft!«
» Andrej, Herzchen, wir sind es, die warten. Es ist fast Mittag, ist dir das eigentlich klar?«
» Ich möchte bloß wissen, warum alle Leute sich ständig darüber mokieren, dass ich, ihrer Meinung nach, zu spät aufstehe! Warum fragt keiner, wann ich ins Bett gehe und wie lange ich arbeite? Warum fragt mich niemand, ob es nicht irgendwann vielleicht an meine Substanz geht, die Nächte durchzuschuften, wenn alle anderen, nachdem sie sich bis zur völligen Verblödung von der Glotze haben berieseln lassen, friedlich an ihren Matratzen horchen? Kann ich etwas dafür, dass ihr jeden Morgen um sieben auf der Matte steht, um eure öden Geschäfte abzuwickeln? Oder wollt ihr mich einfach bloß in den Wahnsinn treiben? Möchtet ihr gern zugucken, wie ich aus dem Anzug hüpfe?«
» Bist du fertig?«, fragt Vera ruhig.
» Nein, ich bin nicht fertig. Obwohl doch, ja, ich bin fertig. Es hat sowieso keinen Sinn, dir etwas erklären zu wollen. Ich bin ja nicht der heilige Franz.«
» Eben. Also, mit deiner gnädigen Erlaubnis, übermittle ich dir jetzt den Redaktionsplan. Einige Termine habe ich schon für dich angesetzt, du kannst später danke sagen.«
Oha. Es geht schon wieder los. Denkt sie vielleicht, weil sie ein paar Bilduntertitel für mich gemacht hat, kann sie jetzt mit mir umspringen, als wäre ich ihr Privateigentum? Und entmündigt bin ich auch noch gleich, oder wie? Seit wann macht sie für mich Termine?
» Vera, was denn für Termine?«
» Diverse. Um halb zwei, also exakt in einer Stunde, brauche ich die Adressen von zwei Boutiquen, in denen Marina Fotos machen soll. Sie sagt, ihr habt das schon abgesprochen.«
» Das hab ich
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