Neonträume: Roman (German Edition)
sagen können, dass sie die Braut von Schamil ist. Ach ja, Nela. Die kam mir gleich irgendwie bekannt vor. Aber was soll’s. Super Figur, klasse Brüste, Stiefel von Gucci und so weiter. Klar, gesehen hatte ich die schon mal irgendwo. Bloß wo? Man kann sich doch nicht an jede Tussi erinnern, und auch noch über jede alles wissen. Bin ich die Auskunft oder das Internet? Lästig, die ganze Sache. Wer weiß, wozu dieser Schamil im Stande ist. Eigentlich hab ich doch gar nichts weiter gemacht. Aber so ist das: ein falscher Kuss– Exitus! Scheiße! Schnell dreimal über die Schulter spucken und auf Holz klopfen. Am besten auf Wowas Rübe. Idiot! Warum hat er mich nicht gewarnt! Egal, ich werde Schamil schon irgendwas Passendes auftischen. Ich sage ihm, ich war total besoffen, voll zugedröhnt, etc. pp. Im Notfall winke mit einem wohlwollenden Artikel samt Foto in einem führenden Lifestyle-Magazin. Das zieht immer. O Jahrmarkt der Eitelkeiten!
He! Scheiße, was ist das denn? Ihr blöden Arschlöcher! Was soll das? Warum, verdammt nochmal, muss ein Mensch, im Jahre 2007, in einer normalen Wohnung praktisch im Zentrum unserer Hauptstadt mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig zu fünfzig damit rechnen, dass ihm genau in dem Moment, wenn er sich die Haare wäscht, das warme Wasser abgestellt wird? Das ist doch echt irgendwie kompliziert, oder? Diese Scheißkerle! Mann!
He, ihr da! Hättet ihr vielleicht wenigstens das kalte Wasser anlassen können? Ihr verfluchten Mutanten! Stellt das Wasser an, irgendein Wasser, irgendwas Flüssiges! Ich hab Seife in den Augen! Verdammte Scheiße! Soll ich jetzt so losziehen, oder wie? Ich kann ja sagen, das Zeug in meinen Haaren ist ein neues Gel, hundert Dollar die Tube. Na klar. Und das Weiße? Quatsch, das sieht nicht aus wie Seife, das sind Koksrückstände, mach doch die Augen auf, du Kretin!
Ah, es funktioniert wieder… So ist’s gut. Immer muss man erst laut werden, sonst geht gar nichts. Das ist wohl unser Nationalcharakter. Jetzt aber fix Haare ausspülen, in die Klamotten springen und Fersengeld geben, eh sie mir wieder den Hahn abdrehen.
Also, wo war ich stehen geblieben?
Mein erster Schultag hat sich mir für immer ins Gedächtnis eingebrannt. Wie sich herausstellte, war der sowjetische Fremdsprachenunterricht gänzlich darauf abgestellt, dass der Schüler die grammatischen Regeln perfekt beherrscht, keinesfalls jedoch die Sprache sprechen kann. Und genauso erging es mir. Die englische Grammatik beherrschte ich aus dem Effeff, aber auf eine simple Frage wie: » Do you want milk or water?«, konnte ich nicht antworten. Außerdem war ich dummerweise der einzige Weiße in der Klasse. Die anderen waren entweder Schwarze oder Latinos. Dementsprechend war mein » welcome gift«, das ich auf dem Schulhof in Empfang nehmen durfte. Fünf oder sechs Schwarze verdroschen mich erst mal nach Strich und Faden, quasi zur Begrüßung. Ich hatte keine Chance, und ich kann nicht einmal sagen, dass ich mich dafür schämte. Ich möchte Sie mal in der Situation sehen. Hätte ich auf Chuck Norris machen sollen? Das hätte auch nichts gebracht.
Jedenfalls soll mir keiner mehr erzählen, Russland wäre ein einziger Knast, der Westen dagegen das Land der großen Freiheit. Das ist ein mieser Schwindel. In unserer Schule bekam jeder zwanzig Bons pro Monat, die man für ein Mittagessen einlösen konnte. Auswahl gab es keine. Man stellte sich an und kriegte das aufs Tablett geknallt, was das Tagesmenü darstellen sollte. Bei der Kalkulation der Schulspeisung orientiert sich der amerikanische Staat natürlich am durchschnittlichen weißen Dystrophiker, logisch, dass dieses Quantum für junge Schwarze, die mit dreizehn Basketball spielen wie die sowjetische Nationalmannschaft, hinten und vorne nicht reicht. Und wenn ein Mensch nicht genug zu essen kriegt, schlägt ihm das aufs Gemüt. Kloppereien ums Essen waren an der Tagesordnung. Ich gehörte zu den Opfern, versteht sich. Die erste Woche schob ich gnadenlos Kohldampf, aber dann bekam ich mit, dass die weniger schlagkräftigen Kinder kurzerhand in ihr Essen spuckten, damit es ihnen nicht abgenommen wurde. Ich brauchte eine Weile, meinen Ekel zu überwinden, aber dann dachte ich mir, Essen ist leckerer als Hungern und spuckte auch. Von da an durfte ich mein Essen behalten. Ich aß und fing an, beim Prügeln mitzuhalten. Zentimeter für Zentimeter verwandelte sich meine Haut in Eisenblech. (Das klingt nicht schlecht, finde ich, muss ich in
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