Neonträume: Roman (German Edition)
darauf an, wie man sich positioniert. So, Schluss jetzt, ich hab zu tun, ciao!«
Ich stellte mir in Gedanken vor, wie ich in seinem Mercedes-Geländewagen bei meiner Uni vorfahre, wie das Blaulicht die neidgrünen Gesichter meiner Kommilitonen aufleuchten lässt: Der Bodyguard steigt aus, hält mir die Tür auf und drängt die Menschen zurück, die mich am Ärmel festhalten oder mich einfach nur berühren wollen, und begleitet mich zur Vorlesung. Manchmal sagt er auch zu mir: » Andrej Sergejewitsch, hier ist es zu gefährlich«, und ich antworte ihm müde: » Ach, Wanja, lass mich doch mal ein bisschen unter Menschen sein, ich bin es leid, die Welt immer nur durch die Fenster meines Mercedes zu betrachten.«
Aber es kam anders. Papa brachte mich in einer seiner Wohnungen unter, einem kleinen, aber gut ausgestatteten Studio in der Nähe der Metrostation Aeroport.
Auf dem Weg dorthin machten wir Halt in einem ziemlich schäbigen Fotoatelier. Dort setzte man mich auf einen Stuhl, sagte: » Sitz grade!«, und: » Halt still!« Und das tat ich auch.
» Hallo, ja, ich bin’s. Janna? Was sagst du? Du kannst mich auch mal am Arsch lecken, verstehst du? Und ob! Hm-hm. Rufst du mich jetzt nur an, um mich vollzutexten, oder was? Das ist mir scheißegal, was mit deinem Bruder ist, verstehst du mich? Mein Pullover ist weg! Wie? Und ob das wichtiger ist! Man hat ihn verhaftet? Ha, ha! Soll er halt weniger Koks fressen und lieber was Anständiges lernen. Egal, irgendwas Medizinisches. Meinetwegen soll er ein Praktikum als Chemielaborant machen, da kann er sich gleich einen Riesentrip zusammenrühren. So, ich hab jetzt keine Zeit, ich muss auflegen. Mach’s gut.«
Mann, das muss man sich mal reintun! Die haben ihren Bruder eingelocht, und ich soll jetzt zwei Riesen hinblättern und ihn da rausholen. Hab ich ihm vielleicht das Ecstasy verkauft? Also so weit kommt es noch!
Ich war zu Hause. Zweitausend Dollar im Monat für Essen und sonstige Ausgaben, eine Kreditkarte für den Notfall. (Es dauerte nicht allzu lang, bis der Notfall eintrat.) Auf dem Tisch lag ein Stadtplan, in dem Papas Büro mit einem roten Kreis markiert war. Darunter stand, ebenfalls rot: » Hier darfst du dich nicht blicken lassen!« Am Tag nach meiner Ankunft klingelte es an der Tür, davor stand eine Angestellte meines Vaters und überreichte mir einen Umschlag.
Ich versorgte mich mit einem Glas Dewar’s, mit dem ich mich bereits angefreundet hatte, machte es mir in einem Sessel bequem und riss den Umschlag auf. Ein kleines Büchlein in schwarzer Lederschutzhülle fiel heraus: ein Studentenausweis. Journalistische Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität. Erstes Studienjahr.
Auf dem Foto– in dem Valentino-Pullover, in dem ich angekommen war– machte ich gar keine schlechte Figur. Na dann: Das nächste Kapitel meiner Biografie kann beginnen.
Kaum hatte ich die Uni betreten, fing die Party an…
Also bin ich abgehauen,
und jetzt häng ich in Moskau,
neuer Ausweis, neues Auto, neues Leben …
Ein Auto wollte mir mein Vater übrigens nicht finanzieren. Ist vielleicht auch besser so, bei meinem Lebenswandel. Permanent im Suff oder unter Stoff, ständig Party-Smarty, neue Frauen, neue Freunde und so weiter und so weiter…
Sonst habe ich keine besonderen Erinnerungen an meine Unizeit. Das Übliche halt, nichts, was man später schmerzlich vermisst hätte. Ist vielleicht auch besser so. Die notwendigen Examen hab ich auf die unkomplizierteste Art und Weise abgelegt– indem ich die Prüfer schmierte. Wenn das nicht klappte, half Papa. Er war immer ein eifriger Mäzen meiner Uni. Ach ja, das Mäzenatentum– eine gute alte russische Tradition. Natürlich hat mir Papa gelegentlich auch mal mit dem Zeigefinger gedroht und mir vorgerechnet, wie gut es mir doch eigentlich geht: ein Studium an der besten Universität des Landes, eine blendende Zukunft und so weiter. Aber wenn ich ihn fragte, wie denn die großartige Uni hieß, wo er selber so super gelernt hätte, die Staatsfinanzen in seine Taschen zu leiten, kam immer bloß zurück: » Das waren andere Zeiten.« Aber mir konnte er natürlich nichts vormachen. » Weißt du«, sagte ich zu ihm. » Ich bin wie Maxim Gorki. Mein Platz ist unter den einfachen Leuten. Und ich bin ein Teil der progressiven Moskauer Jugend, wir ziehen zwar keine Lastkähne am Treidelseil flussaufwärts, aber wir ziehen mit unserem Muskelschmalz das Boot namens Russland nach Europa. Wir schaffen neue Werte, neue
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