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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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über alte Zeiten reden, wenn mir schließlich die Gegenwart gehört? Kurz, die Idee ist faul, ich meine, die mit dem Pass. Hat keine Zukunft. Außerdem, irgendwie kompliziert alles.
    Ich wurde in Petersburg geboren, nicht in Moskau, und zwar in den Achtzigern, und im Stadtzentrum. Knobelbecher und Tarnhemden habe ich im Ganzen zweimal gesehen und zwar im Fernsehen, und dann noch ein paarmal auf protzigen Baustellen von protzigen Privathäusern. Klebstoff geschnüffelt? Zweimal, in der achten Klasse. Das war ziemlich scheiße. Von Breschnew hat mir mein Vater erzählt. Als ich elf war, habe ich noch nicht gevögelt, aber mir regelmäßig einen runtergeholt, mit Hilfe solider schwedischer Pornos. Und das war ganz bestimmt besser als ungeschickter Sex mit meinen pickligen Klassenkameradinnen. Was Pornos angeht, kenne ich mich aus, so viel kann ich guten Gewissens behaupten. (Ich gebe sogar zu, dass ich darüber nachdenke, irgendwann selber welche zu drehen. Ein paar Home-Videos mit Rita habe ich schon im Kasten.) Muckibuden sind auch nicht meine Sache, selbst um normale Fitness-Salons mache ich einen großen Bogen. (Dabei hätte ich Super-Konditionen in den besten Läden der Stadt!) Immerhin pflegte ich im zarten Alter von sechs Jahren bereits mit meiner Mama im Grandhotel Europa zu frühstücken. Ich wäre bestimmt auch ein guter Schüler gewesen à la » Junge aus guter Familie« und so weiter, nur wollten das meine Lehrer irgendwie nicht richtig würdigen. Diese pädagogische Ignoranz erklärt sich zum einen Teil aus der proletarischen Herkunft der Lehrer, zum anderen Teil (und in der Hauptsache) durch meine enorme Faulheit. Aber unterm Strich lief es eigentlich gar nicht schlecht. Vom » Ausreichend« bin ich zwar nicht losgekommen, aber dafür auch nicht an der Nadel hängen geblieben.
    Dann fing Papa an, zu viel Geld zu verdienen, was meiner Mama wiederum gar nicht passte, weil sie den ständig wachsenden Haushalt alleine an der Backe hatte und sich obendrein noch Tag für Tag seine selbstverliebten Monologe anhören musste. Zuerst gab es kleine Streitereien, vereinzelte Scharmützel an unterschiedlichen häuslichen Fronten, die sich nach und nach zu größeren Schlachten auswuchsen, und schließlich flog das antike Geschirr aus Omas Erbe durch die Luft. Zwischen meinen herzallerliebsten Eltern war eine Wand der Sprachlosigkeit entstanden. Mama stürzte sich in ihre Arbeit, Papa ins Nachtleben. Irgendwann zog Papa um nach Moskau. Mama war konsequenter, sie wanderte aus. Und weil ich noch ein kleiner Hosenscheißer war, wanderte ich mit. So kam ich in die Vereinigten Staaten von Amerika.
    Kaufte mir Boxhandschuhe,
    schlug mich in der Schule durch
    Witka und Kolja wurden plattgemacht
    Linoleum, Blutflecken, Bullen
    Nachts Raubzüge, ich verschaff mir Respekt,
    Blut auf dem Linoleum, Bullenfäuste,
    nachts organisieren, ich verschaff mir Respekt.
    Aber die Zeit läuft …
    Dort steckten sie mich natürlich wieder in die Schule. In Sankt Petersburg hatte ich die englische Schule an der Akademie der Wissenschaften besucht. Jetzt landete ich in der übelsten Klitsche des übelsten Bezirks der ganzen Stadt. Benannt war diese Einrichtung nach dem beliebten Bürgerrechtler Martin Luther King. In Amerika gibt es einen Running-Gag, er lautet: Siehst du irgendwo den Namen Martin Luther King, dann nimm die Beine in die Hand. In der Regel stolpert man nämlich über diesen Namen nur in den härtesten Schwarzenvierteln, da, wo sich weiße Kinder praktisch niemals blicken lassen. Ich war die Ausnahme von der Regel. Meine Mutter verdiente einen Hungerlohn, und deshalb wohnten wir zwangsläufig in den miesesten Vierteln der Stadt …
    Na gut, ab unter die Dusche. Die Spuren der nächtlichen Stadt vom Leibe spülen und so weiter. Wasser ist eine feine Sache. Überhaupt, eine gute Dusche ist seit einiger Zeit das Einzige, was noch gegen meine Depressionen hilft. Außer Solarium. Was kostet eigentlich eine Sonnenbank? Ich glaube, ich würde nur noch auf der Bank liegen und brutzeln. Eine zweite Wohnung mieten und darin eine private Dominikanische Republik einrichten. Irgendwie ist mein Kopf schwarz vor Dreck. Ich müsste aussehen wie ein Bergarbeiter. Genau genommen bin ich einer. Gestern Abend zum Beispiel sind wir dermaßen eingefahren, dass wir den Klub fast zum Einsturz gebracht hätten. Die ganze Brigade verschütt gegangen. O Mann, ich hätte nicht so heftig mit dieser Nela tanzen sollen. Andererseits hätte mir Wowa ruhig eher

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