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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Turnschuhe, Pullover. Am Ende fällt mir auf, dass ich das Allerlebensnotwendigste vergessen habe: Zahnbürste, Zahnpasta, Rasierzeug, Aftershave, Deo. Ich schmeiße die Turnschuhe aus dem Rucksack und stopfe den ganzen Reisekrempel in den freigewordenen Raum. Als einzige Lichtquelle bei dieser Aktion dient mir übrigens das Display meines Handys (die SIM -Karte habe ich herausgenommen, zerbrochen und aus dem Fenster geworfen), damit meine Verfolger nicht anhand der erleuchteten Fenster sofort erkennen können, wo ich mich befinde. Um den inneren Druck ein wenig abzubauen, habe ich mir meinen iPod ins Ohr gestöpselt und lasse das Album Kasse von Katsch laufen.
    Alle paar Minuten renne ich zum Fenster und halte Ausschau nach Autoscheinwerfern, die die Ankunft der Bluthunde ankündigen könnten. Wie viel Zeit mag ich noch haben? Eine Stunde? Zwei? Abzüglich der Zeit, die ich vom Parisienne bis nach Hause gebraucht habe. Anton und Wanja werden sich nicht lange bitten lassen, meine Adresse herauszurücken. Das ginge mir ja genauso.
    Das Quietschen von Autoreifen zerreißt die Stille vor meinem Haus. Diesen Blödmännern fällt in ihrem Übereifer gar nicht ein, vielleicht ein wenig diskreter vorzugehen. Aber das kann mir ja nur recht sein. Vorsichtig schaue ich aus dem Fenster. Wie befürchtet: Zwei Jeeps, Typ Toyota Land Cruiser 100, halten vor meiner Haustür, eifrige Spielzeugmännchen springen heraus, schauen zu mir herauf, suchen meine erleuchteten Fenster. Denkste, Pustekuchen! Jetzt zerren die Gorillas meine beiden Freunde aus einem der Jeeps… sorry, guys, das wollte ich nicht, ehrlich. Dieses kleine Biest von Rita hat uns reingelegt. Wenn wir uns irgendwann wiedersehen, werd ich euch alles erklären. Ich stelle die Musik im Ohr ein wenig lauter:
    » Der Feind rückt an, sein Stechschritt grinst, der Feind ist nah, er tritt meine Fresse in den Dreck, wer hört noch mein Hurra?
    Ich kämpfe allein, mein Arsch gegen Millionen,
    Millionen Ärsche, eine Armee von Glamour-Klonen!«
    Bevor ich gehe, werfe ich noch einen letzten Blick zurück auf meine Wohnung, die mir jetzt schon völlig verlassen vorkommt. Ich flüstere einen feierlichen Schwur: » I’ll be back«, dann schiebe ich die Tür ins Schloss, drehe den Schlüssel dreimal um und schleiche auf Zehenspitzen in den sechsten Stock, wo sich der Notausgang auf den Dachboden befindet. Jetzt beschäftigen mich genau zwei Fragen. Erstens: Hält meine Kaltblütigkeit an, oder ist das nur ein vorübergehender Zustand? Und zweitens: Waren Anton und Wanja irgendwann mal mit mir auf dem Dachboden? Auf die letzte Frage wenigstens kann ich mit einem klaren Nein antworten. Als ich die Klappe zum Dachboden aufziehe, höre ich vom Treppenaufgang her lautes Gepolter. Türenschlagen, wildes Getrappel, jemand brüllt Kommandos, ein anderer flucht. Sie kommen. Ich ziehe mich hoch, erreiche den Dachboden, schließe die Luke leise hinter mir. Noch ein paar Schritte bis zur nächsten Tür, dann bin ich auf dem Dach.
    Hier oben fühle ich mich sofort erheblich besser. Die Luft ist, für Moskauer Verhältnisse, ungewöhnlich frisch. Oder ist das schon die Petersburger Luft, die ich schnuppere? Egal, weiter geht’s! Mein Haus ist das mittlere von drei zusammenhängenden Gebäuden, die denselben Hof umschließen. Nach einer kurzen Umschau bewege ich mich tief gebückt und so leise ich kann auf das Dach des links von mir befindlichen Hauses zu, immerzu hoffend, dass niemandem da unten in den Sinn kommt, hier heraufzuspähen. Gott sei Dank ist der Belag aus Dachpappe und nicht aus Blech. Auf dem Nachbarhaus angekommen, versuche ich, die nächste Dachluke zu öffnen, aber sie gibt nicht nach. Ich ziehe, rüttele, zerre– vergeblich. Verdammt, daran habe ich nicht gedacht! Soll das etwa heißen, dass in diesem ganzen Block meine Dachbodenluke die einzige ist, deren Schloss kaputt ist? Das kann nicht wahr sein! Wenn irgendwo etwas kaputt ist, dann ist es überall kaputt, so kenne ich Moskau! Ich versuche es bei den nächsten beiden Luken, wieder ohne Erfolg. Schon befällt mich Panik bei dem Gedanken, womöglich vom Dach springen zu müssen oder die Regenrinne hinunterzukrabbeln. Die Alternative wäre, dass mich die Gorillas in hohem Bogen auf die Straße schmeißen. Aber dann, zum Glück für mich und alle anderen Gangsta-Trash-Fans, erhört die dritte Luke mein Flehen und lässt sich öffnen. Auch die Tür zum Treppenhaus ist unverschlossen. Ich bin gerettet.
    Noch ist es allerdings

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