Neonträume: Roman (German Edition)
lang erwartete Überraschung! Die Nummer, die Ihnen schon im letzten Jahr auf unserer Silvesterfeier so gut gefallen hat! Alexej Trefilows beliebte Tanzshow!«
Aus den Boxen trällert ein bekanntes Volkslied, und fünf Mädchen mit zotteligen Perücken, sehr knappen, sehr tief dekolletierten Kleidern kommen singend auf die Bühne gehüpft. Uns klappen die Kinnladen runter. Die Mädchen schwingen die Beine, rutschen in den Spagat, vollführen alle möglichen akrobatischen Figuren, so wie man es auch auf vielen anderen derartigen Veranstaltungen sieht, mit dem kleinen Unterschied– das hier sind keine Mädchen! Die fröhlich hüpfenden Grazien da vor uns auf der Bühne sind waschechte Transvestiten!
» Was ist das?«, höre ich Anton neben mir.
» Alle Achtung«, ächzt Wanja erschüttert.
Die nächste halbe Stunde stehen wir nur da und glotzen. Ein großer Teil der Gäste ist der Aufforderung der » Damen« auf der Bühne gefolgt und drängt auf die Tanzfläche. Die Frauen schaffen sich mit den Ellenbogen Platz, werfen die Hände in die Luft und lassen ihre Brüste wippen, die Männer rucken zaghaft mit den Schultern und grinsen. Einige Gäste tanzen paarweise. Die Übrigen, die auf ihren Plätzen sitzen geblieben sind, schunkeln und singen mit. Im Festzelt herrscht eine Atmosphäre völliger Enthemmung, der pure Rausch. Etwas Ähnliches habe ich in einer bestimmten Sorte von Klub in Amsterdam erlebt, mit dem Unterschied, dass dort der Anblick von Transvestiten auf der Bühne nichts Besonderes ist, aber solche russischen Kartoffelbauern sieht man da eher selten unter dem Publikum.
» Wenn jetzt schon die braven Kleinbürger Transvestiten auftreten lassen, um sich den Feierabend zu versüßen, dann sage ich: Die Welt hat sich verändert«, konstatiere ich fassungslos. » Passt auf, gleich kommen Gartenzwerge reinmarschiert und servieren Koks auf Silbertabletts.«
» Vor gar nicht langer Zeit haben diese Leute brav ihre Volksmusik oder romantische Ganovenschlager gehört.« Anton zündet sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. » Was ist da bloß schiefgelaufen?«
» Ich verstehe bloß nicht, wie sie das alles unter einen Hut bringen«, meint Wanja und nimmt sich eine Zigarette aus Antons Packung. » Normalerweise regen diese Leute sich furchtbar auf, wenn im Fernsehen mal ein nackter Hintern zu sehen ist, oder wenn ein Schriftsteller das Wort Scheiße benutzt…«
» Ich dachte, du hast aufgehört zu rauchen?«, unterbreche ich ihn.
Wanja überhört meinen Einwand. » Zu Hause hüten sie die sogenannten Werte der Familie und hier beglotzen sie Transvestitenärsche. Wie kriegen sie das in ihren winzigen Hirnen nur zusammen?«
» Genauso, wie sie in ihren Wänsten Fleischsalat mit Erbsen und Mayonnaise mit Sushi zusammenkriegen«, erklärt Anton trocken. » Das eine ist nahrhaft und das andere modisch.«
» Mir wird schlecht«, stelle ich fest.
» Du bist hier, weil du gut bezahlt wirst, vergiss das nicht, du Moralist!«, zitiert Anton meine Worte.
» Mich treibt das zum Wahnsinn! Alles in dieser Stadt wird bis zur Unkenntlichkeit pervertiert. Das ist doch nicht auszuhalten!«
» Das sagt einer, der sich aus Protest gegen die Gesellschaft mit einem Reklamebären prügelt. Du stehst heute echt unter Strom, Andrej! Das ist gut! Halt diese Spannung! Wenn wir auftreten, kannst du deine ganze Aggression rauslassen, das wird diesen Spießern einheizen!«
» Die Sache mit dem Bären musst du mir nicht ständig unter die Nase reiben.«
» Kinder, macht euch bereit für die Bühne, in zehn Minuten seid ihr an der Reihe«, sagt Schitikow, der wie aus dem Nichts neben uns aufgetaucht ist. » Oder seid ihr schon dicht?«
» Wie denn? Bei so einer Show? Wofür hältst du uns?«, raunze ich.
» Das war ein Scherz. Bei euch Künstlern muss man doch mit allem rechnen«, gibt er lachend zurück. » Also, denkt daran: Vorsicht mit Sprüchen unter der Gürtellinie! Nichts Perverses! Haltet euch an die fünf Tracks, die ich ausgesucht habe.«
» Und Sprüche über Transvestiten?«, fragt Anton mit naiven Kinderaugen.
» Ein anderes Mal, Alter! Ein anderes Mal.« Schitikow klopft ihm versöhnlich auf die Schulter.
Hinter den Kulissen nehmen wir noch einen Whiskey, um unsere Stimmen zu ölen, warten noch ein paar Minuten, und auf ein Zeichen der Assistentin hin gehen wir raus.
» Bei dir alles in Ordnung?«, flüstert Anton mir zu.
» In bester Ordnung«, flüstere ich zurück.
» Und jetzt erleben Sie die
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