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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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blutverschmiertem Uniformhemd läuft an mir vorbei. » Sperrt die Strecke ab, verdammte Scheiße nochmal! Vollständig absperren!«, brüllt er in ein Funkgerät.
    » Bleibt bei den Verletzten!«, schreit eine Schaffnerin. Ihre Uniformjacke ist zerrissen, ihr Gesicht voller Schnitte.
    » Gleich kommt Hilfe, halt durch«, flüstert mir jemand ins Ohr. » Die Krankenwagen sind schon unterwegs…«
    Aus und vorbei, denke ich. Ein schönes Finale. Ob der komische Typ wohl gerettet wurde?, denke ich noch, dann verliere ich das Bewusstsein.

E s ga b keine Überlebenden
    Ich spüre, wie die Sonne durch die halb geöffneten Vorhänge fällt, über mein Gesicht streift und mich ganz langsam aus dem Schlaf holt. Ich öffne die Augen und erblicke eine Frau, die an meinem Bett sitzt. Eine Krankenschwester? Seit wann postiert man Krankenschwestern an den Krankenbetten? Steht es so schlimm um mich? Vielleicht habe ich eine Blutvergiftung oder sowas Ähnliches. Bei diesem Gedanken bricht mir sofort der Schweiß aus. Halt, stopp! Krankenschwestern tragen keine beigen Business-Kostüme. Jedenfalls war das zu dem Zeitpunkt, als ich in diesen verdammten Zug gestiegen bin, noch nicht üblich.
    Ich sehe sie mir durch halb geschlossene Augenlider an. Ob sie wohl schon lange hier ist? Hat sie bemerkt, dass ich aufgewacht bin? Sie sitzt ganz ruhig da, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände um die Knie geschlungen. Gepflegte Hände mit schlanken Fingern. Ein langer, wunderschöner Hals. Eine große Sonnenbrille verdeckt das halbe Gesicht. Sie trägt keinerlei Schmuck. Ein echtes Bond-Girl! Mit einem Kopftuch wäre sie eine Nikita– eins zu eins. Rote Haare. Unter meinen Freundinnen war nicht eine Rothaarige. Apropos, diese Lücke wollte ich schon immer mal schließen… Nicht mehr in diesem Leben. Wie alt mag sie sein? Ich konnte schon immer schlecht das Alter von Frauen schätzen. Sie nimmt eine Zigarette aus ihrer Handtasche.
    » Guten Morgen«, sagt sie und zündet die Zigarette an.
    Die Stimme… ich kenne diese Stimme! Kann es sein, dass sich irgendeine Bekannte aus grauer Vorzeit meiner erbarmt und mich hier besucht?
    » Guten Morgen. Oh, verdammt!« Ich versuche mich aufzusetzen, aber ein scharfer Schmerz in meinem Bein belehrt mich eines Besseren. Ich sinke zurück ins Kissen. » Sorry. Darf man neuerdings in Krankenzimmern rauchen? Ich hätte auch nichts gegen ein Zigarettchen einzuwenden.«
    » Spielst du immer noch den Amerikaner, Andrej?« Sie nimmt die Sonnenbrille ab.
    O Gott, wäre ich doch nicht aufgewacht! Nein, das kann nicht sein, das ist sie nicht, das ist nur eine verblüffende Ähnlichkeit, weiter nichts… Olga ist schon vor Jahren ins Ausland gegangen, das hat man mir doch erzählt. Woher weiß sie das mit Amerika? Nein, sie kann einfach nicht hier sein, das ist unmöglich. Noch einmal versuche ich mir einzureden, dass diese Frau unmöglich Olga sein kann, aber die Paranoia hat schon von jeder Zelle meines Körpers Besitz ergriffen.
    » Kennen wir uns? Ich kann mich im Augenblick nicht erinnern. Sie müssen entschuldigen, ich bin nicht so ganz auf der Höhe. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Man erlebt ja nicht jeden Tag ein Zugunglück, das müssen Sie zugeben.« Ich versuche ein Lächeln, aber auch ohne Spiegel fühle ich, dass mir nur eine schlechte Grimasse gelingt. » Wir kennen uns also…«
    » Mein Häschen. Du hast vergessen, Häschen dazuzusagen, Andrej!« Sie nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette und geht zum Fenster. » Ja, wir kennen uns. Jedenfalls kannten wir uns einmal, vor langer Zeit.«
    » Olga!« Mein Mund ist auf einmal trocken. » Wie kommst du hierher? Wer hat dir erzählt, dass ich…«
    » Wer mir erzählt hat, dass du in Petersburg bist, im Krankenhaus, mit gebrochenem Bein und Gehirnerschütterung? Niemand hat mir davon erzählt. Weil niemand davon weiß. Außer mir, natürlich.« Sie lächelt und wendet sich wieder zum Fenster, mir scheint, in ihren Augen schimmern Tränen. Oder bilde ich mir das nur ein?
    » Niemand weiß davon, dass ich im Krankenhaus liege«, überlege ich laut. » Ja, eine trostlose Zeit. Wer hätte gedacht, dass diese verdammten Terroristen jetzt schon Züge angreifen, oder?«
    Sie nickt schweigend.
    » Und wie schnell alles ging«, rede ich weiter. » Peng! Der Wagon kippte um und ich fiel auf die Nase. Und dann… dann weiß ich nur noch, dass mich die Sonne aufgeweckt hat.«
    Wieder nickt sie.
    » Alle schrien durcheinander, überall war Blut. Ich

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