Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
Vom Netzwerk:
der Barmann ihm sofort zu.
    » Verzeihung!« Hastig zerdrückt er die Zigarette auf seiner Untertasse, dann beugt er sich zu mir vor und flüstert: » Ich sage Ihnen: Bereuen Sie niemals etwas, das Sie getan haben. Ein besserer Mensch werden Sie dadurch sowieso nicht. Und ich denke, dort, wohin wir alle gehen, zählt etwas ganz anderes. Ein Joint mehr oder weniger wird uns die Tore des Paradieses nicht verschließen.«
    » Das Paradies?« Ich zucke zusammen. » Warum erwähnen Sie jetzt gerade das Paradies?«
    » Weil ich besoffen bin, deshalb«, antwortet er mit leichtem Lächeln. » Verzeihen Sie, wenn ich Sie gekränkt habe. Alles Gute!«
    Damit ist er plötzlich verschwunden und lässt mich in völliger Verwirrung zurück. Ich trinke meinen Weinbrand aus, schaue noch ein wenig fern, aber ich fühle mich hier allein nicht mehr wohl. Soll ich losziehen und diesen Typen suchen? Soll ich ihm alles erzählen? Vielleicht kann er mir ja sagen, wie es mit mir weitergehen soll? Aber was bringt das? Er hat gesagt, was er sagen wollte, und damit hat es sich.
    Ich gehe zurück in mein Abteil, lehne den Kopf an die Fensterscheibe und döse ein. Bevor ich ganz einschlafe, denke ich noch, dass ich endlich aufhören sollte, mich beim Zugfahren zu betrinken, mit fremden Leuten zu reden und vor allem: mich selbst innerlich aufzufressen. Letzten Endes bin ich doch nicht allein Schuld an dieser ekligen Geschichte. Da gibt es noch ein paar mehr Mitwirkende. Rita und Lena haben schließlich mein Spiel auf jede erdenkliche Art mitgespielt, mehr noch, sie haben es befördert, weil nämlich jede ihre eigenen Interessen dabei verfolgte. Lena wollte heiraten und nach Amerika auswandern und wer weiß, was noch alles. Rita wollte mit einem coolen Klub-Promoter vor ihren Freundinnen angeben, Katja wollte schlicht und ergreifend einen reichen Oligarchen. Alle haben eine Rolle gespielt, sie und ich– denn das Spiel haben wir uns zusammen ausgedacht. Und solche Spiele haben immer ein stressiges Ende. Rita und Lena… Im Traum erscheinen mir ihre Gesichter, in Marmor gemeißelt, wie griechische oder römische Göttinnen. Nur die deutlich erkennbaren blutunterlaufenen Stellen unterscheiden sie von ihren steinernen Ebenbildern, die sind zu lebendig für Marmorgesichter.
    Als ich aufwache, sehe ich auf die Uhr. Noch eine Stunde, zehn Minuten bis zur Ankunft in Petersburg. Wenn ich nur schon da wäre! Ich lehne mich zurück und versuche mich auf den Krimi zu konzentrieren, der auf dem Bildschirm läuft. Gerade als es zum Showdown kommt, ertönt plötzlich ein gewaltiger Knall.
    Der vordere Teil des Wagons sackt ab, man hört ein stumpfes Knirschen und Scharren, als würde Eisen über Schotter oder Sand ratschen. In den Augen des Mädchens, das mir gegenübersitzt, flackert nicht Angst auf, eher eine Frage… Was mag mein Gesicht in diesem Moment ausdrücken? Ganz langsam, wie schwerelos, hebe ich mich aus meinem Sitz und fliege nach vorne. Instinktiv strecke ich Arme und Beine aus, um den Sturz abzufangen. Der Wagon wird heftig durchgerüttelt, schaukelt hin und her, dann bleibt er plötzlich stehen und legt sich langsam auf die Seite. » Aus«, denke ich und schließe die Augen.
    Neben mir piepst irgendwas, ich höre Stöhnen, Frauenschreie. Als ich die Augen wieder aufmache, sehe ich, dass ich auf dem Wagonfenster liege, genauer gesagt, auf dem, was davon übrig geblieben ist. Ich habe heftige Schmerzen in meinem rechten Bein und in meinem linken Ellenbogen. Genau über meinem Kopf befindet sich die Tür unseres Abteils. Das Mädchen, das mir eben noch gegenübergesessen hat, liegt jetzt neben mir und stöhnt leise. Instinktiv greife ich sie unter den Armen und versuche, sie hochzuziehen.
    » Man muss das Fenster einschlagen!«, sagt jemand.
    » Nach oben, nach oben!«, schreit eine Frau, vermutlich die Schaffnerin. » Gleich fängt es an zu brennen!«
    » Helfen Sie mir! Das Mädchen…!«, höre ich meine eigene Stimme. Sie klingt, als käme sie von ganz weit her. » Sie ist bewusstlos!«
    Hände ziehen uns nach oben, mich und das Mädchen, das ich umklammert halte, so fest ich kann, als hätte ich Angst, man könnte uns trennen.
    » Vorsicht! Haltet ihn fest!«, ruft eine Männerstimme.
    Dann atme ich frische Luft und schlage die Augen auf. Überall Staub und Trümmer, umherhastende Menschen, es riecht penetrant nach verbranntem Plastik. Zwei Schaffnerinnen kümmern sich um das Mädchen.
    » Sie lebt! Gott sei Dank!«
    Ein Mann in

Weitere Kostenlose Bücher