Neonträume: Roman (German Edition)
sich von früher her. Ist ja eigentlich auch egal. Wowa sieht aus, als hätte man Steven Tylor von Aerosmith die Haare geschoren und ihn in einen hellgrauen Business-Anzug samt rosa Hemd gesteckt. Ungelogen, er sieht aus wie Tylor, das gleiche Froschmaul, der gleiche irre Blick, die gleichen schwarzen Haare. Fehlt nur die Stimme und die Drogenkarriere, dann wäre er perfekt. Aber Wowa kann weder singen noch Musik schreiben, noch gibt er Konzerte. Er hat irgendwas mit dem Verkauf von Süßkram zu tun. Soviel ich weiß, arbeitet er für die Firma Mars. Was gibt es noch über Wowa zu sagen? Freitags dackelt er für gewöhnlich in irgendwelche Klubs zum Tanzen, ab und an zieht er mal ein bisschen Koks. Allerdings geht es ihm dabei nicht darum, sich zu amüsieren, Gott bewahre! Seine Freitagabendtouren haben den einzigen Zweck, seine muffigen Klamotten auszuführen: seine altersmürben Bluejeans und apfelsinensaftorangenen Hemden, die er vor etlichen Jahren für kleines Geld auf einem geheimen Vorstadtwochenmarkt erstanden hat. Alles echte Markenklamotten! Die teuren Sachen sollen ja nicht verkommen. Sie sind zwar nicht mehr so richtig in Mode, aber immer noch kaum getragen! Wowa ist ein klassischer Vertreter der beliebten spätkapitalistischen Betriebsphilosophie, die da lautet: Wir arbeiten nicht nur schwer, wir können auch sehr lustig sein und richtig wild feiern– aber nur am Wochenende, damit wir am Montag wieder fleißig weiterarbeiten können. Das Koksen läuft bei ihm übrigens nach demselben System.
Ich sehe meine Kumpels der Reihe nach an und bin mir nicht sicher, ob es sich lohnt, mein tragisch mitfühlendes Gesicht aufzusetzen oder nicht. Für alle Fälle beschließe ich, die Lage erstmal ein wenig zu entschärfen.
» Und wie geht es dir jetzt, Wowa?«, frage ich also leutselig und klatsche ihm aufmunternd auf den Rücken. » Wie läuft’s sonst?«
» Man lebt, so gut es geht«, antwortet er mechanisch.
» Na, das geht vorbei!«, behaupte ich und piekse nebenbei mit der Gabel ein paar Grenki von Wanjas Teller.
» Wie meinst du das?«, fragt Wowa und macht große Augen.
» He, Finger weg von meinem Teller!«, poltert Wanja und schlägt nach meiner Hand.
» Wollte nur mal probieren«, verteidige ich mich kauend. » Außerdem warte ich seit einer geschlagenen Viertelstunde auf die Kellnerin. Willst du, dass ich hier verhungere?«
» Ich habe mir extra Ceasar-Salat bestellt, mit gedünstetem Huhn, wegen meiner Diät!«, erklärt er beleidigt.
» Ich habe mir nur eins von den Eibroten gemopst, Alter! Dein kostbares Huhn habe ich nicht angerührt!«
» Nein?« Wanja schaut misstrauisch auf seinen Teller. » Dann ist’s ja gut. Du kannst weiteressen.«
» Danke, sehr großzügig, aber ich habe das Gefühl, deine Grenki kommen mir gerade wieder hoch.« Ich beuge mich über seinen Teller und fange an zu würgen.
» He, Andrej, ich habe dich gefragt, was du damit meinst«, quengelt Wowa von der Seite.
» Was meine ich womit?«, frage ich irritiert. Was will der Idiot jetzt von mir?
» Du hast mich gerade gefragt, wie es mir geht, ich habe dir geantwortet, man lebt, so gut es geht, und du hast gesagt, das geht vorbei. Also, was meinst du damit?«
» Gar nichts meine ich damit! Was ist eigentlich mit euch los? Der eine hält endlose dämliche Monologe, der andere schaufelt unappetitliche Diätsalate in sich rein wie eine magersüchtige Bioschwuchtel und der dritte kriegt hysterische Anfälle! Was habt ihr bloß alle für Probleme? Lasst mich doch in Ruhe mit eurem öden Negativismus!«
» Wer kriegt hysterische Anfälle? Wer ist hier der Hysteriker?«, rufen Wanja und Anton wie aus einem Mund.
» Also gut, Leute!« Anton lehnt sich zurück und steckt sich wieder eine Zigarette an. » Wir haben alle unseren Spaß gehabt, jetzt reicht es. Andrej, Wowa ist beschissen drauf, merkst du das nicht? Seine Freundin hat ihn verlassen.«
» Super«, rufe ich. » Das heißt, du kannst dich jetzt richtig austoben und musst nicht mehr jede Nacht zu Hause antanzen, oder?«
Wanja und Anton sehen mich vorwurfsvoll an.
» Sie war nicht bloß meine Freundin, sondern meine Verlobte. Ich habe ihr letzten Monat einen Heiratsantrag gemacht.« Wowa nimmt einen tiefen Zug an seiner Zigarette und spült mit einem Schluck Wein nach. » Und am Freitag hat sie ihre Sachen gepackt und ist einfach gegangen.«
» Und warum?«, frage ich, aber Wowa ist so tief in seiner Erzählung versunken, dass er mich wohl nicht hört.
»
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