Neonträume: Roman (German Edition)
bösen Grinsen und lacht bellend:
» Kleiner Scherzkeks, was?«
» Wieso? Hab ich was Falsches gesagt? Sind das etwa Wilde, deine Oligarchen, waren die noch nie auf einem Karneval?«
» Ganz bestimmt waren sie das, Alter. Die waren schon überall, auf den Bahamas, auf den Seychellen und auf dem Karneval auch. Aber bevor sie die Freuden des Luxuslebens kennenlernten, waren sie auch noch ganz woanders.«
» Zum Beispiel?«
» Glaubst du denn, Larionow war sein ganzes Leben lang Erdöl-Oligarch?«
» Keine Ahnung…«
» Das war er ganz bestimmt nicht. Bevor er sich im Maybach durch die Gegend kutschieren ließ, durfte er erstmal ein paar Jährchen im Straflager davon träumen. Das war in den achtziger Jahren. Verstehst du jetzt?«
» Was gibt es da zu verstehen? Ich meine, was hat das mit mir zu tun?«
» Was das mit dir zu tun hat? Du weißt doch, was es im Lager heißt, wenn man jemandem im Hühnchenkostüm bestellt, oder?«
» Au, Scheiße…« Ich fange an zu begreifen, und sofort läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. » O Mann, ich bin wirklich ein Idiot. Entschuldige, ich bin in der Thematik nicht so firm.«
» Geschenkt. Aber ich gebe dir den guten Rat: Pass auf deinen Arsch auf, Mirkin, sonst wirst du eines schönen Tages teuer dafür bezahlen. Gut, reden wir nicht mehr davon. Ich muss los. Ich erwarte deine Texte bis morgen Mittag.«
Schitikow verschwindet, und ich bleibe allein zurück, sitze da, schweißgebadet, trinke Wasser und überlege, dass man mit Zuchthauslyrik verdammt vorsichtig umgehen muss. Vielleicht sollte man sich thematisch lieber ganz auf das Klubleben beschränken? Zehn Minuten später habe ich mich von dem Schock erholt und fange an zu begreifen, dass wir die definitive Zusage haben! Wir werden auftreten! Unser erster öffentlicher Auftritt! Ich bestelle hundert Gramm Dewar’s, leere ihn auf ex und fühle mich wie im siebten Himmel.
Wir werden auftreten! O mein Gott! Es gibt dich also doch! Du trägst Klamotten wie Tupac Shakur, hast ein riesiges Kreuz aus Brillanten auf der Brust hängen und ein Bandana um den Kopf, und du hast echt Ahnung von Hip-Hop!
Aus den Boxen dröhnt Bryan Molko:
I see you’ve found my underground …
Spät in der Nacht rasen wir in einem Range Rover Vogue die Krassina-Straße entlang in Richtung Gartenring. Wir sind zu viert: mein Freund Ljocha Rybalko, bei dem ich vor einer Stunde zehntausend Dollar in Empfang genommen habe und für den ich jetzt den Entertainer spielen muss, dann meine Wenigkeit, und zur Abrundung zwei hübsche Bräute, Sweta und Polina, die für ein paar Stunden die Rolle der Damen unseres Herzens einnehmen sollen. Ljocha nenne ich heimlich einen Schmalspur-Oligarchen, aber im Prinzip ist er in Ordnung. Kennengelernt haben wir uns vor drei Jahren, nach dem Fortdance-Festival. An einem trüben Petersburger Morgen erwachte ich im Hotel Newski Palace (oder ich kam zur Besinnung, das trifft es wohl besser), in einem wüsten Knäuel aus Körpern, das teils aus meinen Freunden, teils aus irgendwelchen Prostituierten bestand, welche offenbar gerade versuchten, uns mit ungeschickten oralen Manipulationen wiederzubeleben. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das taten sie nicht etwa aus Spaß an der Freude, sondern schlicht und einfach, weil wir sie bis zwölf Uhr des nächsten Tages bezahlt hatten. Auf Ljocha geht folgender genialer Kommentar zurück, mit dem er die Situation damals zusammenfasste: » Wieder senkt sich der Vorhang, und wieder haben die Akteure enttäuscht. Wenn wir wenigstens die Nutten um ihre Kohle geprellt hätten. Das hätte immerhin ein bisschen Spannung ins Spiel gebracht.« Ich finde, besser kann man es nicht sagen.
Seit dieser Zeit macht Ljocha mich immer mal wieder zum Gefährten seiner nächtlichen Kämpfe gegen die Langeweile. Manchmal pumpt er mir Geld– nicht viel, immer nur für kurze Zeit, obwohl die Summen, um die es dabei geht, für ihn Peanuts sind. Ljocha ist für mich die einzige Bank, der ich meine Schulden pünktlich zurückzahle. Denn bei jeder normalen Bank kostet Verzug Zinsen, aber bei Ljocha würde es mich die Beziehung kosten. Und das wäre absolut uncool. Sagen Sie selbst, kennen Sie jemanden, den sie einfach nur anrufen müssen, und er schiebt Ihnen zehntausend Grüne rüber? Genau: So jemanden gibt es nicht! Aber Ljocha gibt es. Aus diesem Grund konnte ich schlecht ablehnen, als er vorschlug, zusammen noch irgendwohin loszuziehen.
» He, ihr Trauerklöße, macht mal die Musik
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