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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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auf der Straße herumtrieb. Das Mädchen kramt eine Ewigkeit in ihrer Handtasche nach dem Wohnungsschlüssel. Während sie damit zu tun hat, küsse ich sie mit geschlossenen Augen ununterbrochen, wo ich sie erwischen kann, und versuche, die ersten Anzeichen des Hubschraubersyndroms zu bekämpfen. Endlich hat sie die Tür offen, ich atme erleichtert auf und versuche, sie noch dichter an mich zu ziehen.
    » Ja doch, Andrej, immer mit der Ruhe.« Sie schiebt mich zurück. » Du bekommst alles, was du willst. Sofort. Wenn du willst, gleich hier im Flur. Nur eine winzig kleine Frage, okay?«
    » Aber ja, mein Häschen, natürlich! Auch zwei! Aber mehr nicht, sonst werde ich hier einfach verglühen!« Wieder ziehe ich sie an mich und knutsche ihren Hals.
    » Also, Andrej, du kriegst von mir alles, was du willst– wenn du mir sagst, wie ich heiße. Du hast dreißig Sekunden.« Dabei hebt sie demonstrativ die Hand mit der Uhr. (Die Marke kenne ich nicht, ist jetzt aber auch egal.)
    » Heee, was soll das denn jetzt? Soll das ein Ratespiel sein, oder was?« Diesmal mache ich mich von ihr los. Das geht jetzt aber glatt unter die Gürtellinie. Schließlich habe ich sie in den letzten drei Stunden immer nur » Häschen« oder » Sonnenschein« oder » Schätzchen« oder weiß der Teufel wie genannt, bloß nicht bei ihrem Namen. Obwohl sie ihn irgendwann verraten hat, das weiß ich. Oder? Kompliziert alles! » Hör mal, hör doch mal, das ist doch jetzt Kindergarten, oder wie? Du glaubst doch nicht ernsthaft, ich wüsste nicht, wie du heißt?«
    » Noch zwanzig Sekunden…«
    » Wollen wir nicht wenigstens erstmal reingehen? Du, wenn dich solche Spielchen anmachen, wenn du das geil findest, bin ich dabei, logo!« Ich zwinkere ihr zu. » Kein Problem! Ich tue einfach so, als würde ich dich nicht kennen, willst du das? So in der Art, als hätten wir uns gerade eben im Fahrstuhl getroffen und so, ja? Magst du das?«
    » Wir kennen uns tatsächlich nicht. Noch zehn Sekunden.«
    » Äh…« Plötzlich fällt es mir ein. Sie hat ihren Namen gesagt! Jetzt weiß ich es wieder! Es war Sweta. Oder Polina. Eins von beiden. Na also! Eine reelle Fifty-fifty-Chance. Das ist mir so eine Ratefüchsin! Ich versuche ein lässiges Grinsen: » Weißt du, Polina…« In derselben Sekunde fange ich mir eine saftige Ohrfeige ein, dann einen kräftigen Stoß vor die Brust, der mich ein paar Schritte rückwärtstaumeln lässt. Ich kneife die Augen zu, um zu begreifen, was jetzt gerade passiert ist, und als ich sie wieder aufreiße, starre ich in das eiskalte Auge des Türspions.
    » Sweta, mach auf, das war doch nur ein Scherz!« Ich drücke verzweifelt auf den Klingelknopf. » Sweta! Swetotschka!« Wenn ich nur wüsste, wie ihre Mutter sie als Kind genannt hat. Das soll ja bei Frauen wirken. » Swetatschok, jetzt hör doch auf! Willst du, dass ich auf der Straße übernachte? Und wenn ich erfriere? Mit mir stirbt die Hoffnung des russischen Journalismus, hörst du?«
    » Verpiss ich, du Clown!«, ertönt es hinter der Tür. » Wenn du in einer Minute nicht verschwunden bist, rufe ich die Polizei!«
    » Schon wieder ein Zeitlimit? Bist du Sportlerin?«
    » Verzieh dich!«, schreit sie hysterisch hinter der Tür. Noch ein paar solcher Bemerkungen von mir, und sie fängt tatsächlich an zu heulen.
    » Hau ab, du Scheusal!«
    Das fehlte mir gerade noch, mich mitten in der Nacht mit den Bullen herumzuärgern. Ich meine, grundsätzlich habe ich nichts dagegen, ein ordentlicher Skandal mit allem Drum und Dran, mit Presse und dicken Schlagzeilen, das hat was. » In Zürich wurde das Enfant terrible des russischen Showbiz verhaftet.« Und darunter, etwas kleiner: » Andrej Mirkin, der gerade eine Therapie in einem der teuersten Schweizer Rehabilitationszentren für Drogentherapie macht, wurde beim Versuch, Haschisch in sein Zimmer zu schmuggeln, von der Kantonspolizei verhaftet.« Dazu ein paar nette Fotos– wunderbar! Aber hier, in diesem trüben Hausflur, bringt das absolut gar nichts, und deshalb mache ich mich jetzt lieber vom Acker.
    » Blöde Neurotikerin!«, fauche ich die Tür an. » Soll ich dir ein paar Tranquilizer durch den Briefschlitz werfen?« Sweta– wie ich diesen Namen hasse! Der hässlichste Name, den ich kenne! Bäh!
    Als ich aus dem Hauseingang trete, denke ich, dass dieser Abend ziemlich in die Hosen gegangen ist. Verdrossen starre ich auf mein Handy, und mein benebelter Kopf produziert die Idee, Lena anzurufen. Ich wähle, warte lange,

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