Neonträume: Roman (German Edition)
keine Zufälle gibt. Verwandelt sich unsere Beziehung vielleicht unmerklich in den gegenseitigen Austausch von Dienstleistungen? Wenn, dann wären mir zehntausend Grüne für eine Werbeagentin im Moment doch etwas zu viel Holz, selbst wenn sie eine klasse Figur hat. Irgendwie kompliziert alles… Oder bin ich bloß zu misstrauisch?
Ritas Früchtetee wird gebracht. Der Kellner neigt sich vertraulich zu mir herunter und teilt mir mit gedämpfter Stimme mit: » Der Chef ist jetzt da.« Freddy Mercury singt » The Great Pretender«.
Wir schweigen.
» Ich wollte dich etwas fragen«, sagte Rita plötzlich. »Etwas sehr Wichtiges. Du weißt ja, wir verbringen so wenig Zeit miteinander…«
» Tja-ja«, quetsche ich heraus. Ich fing gerade an, darüber nachzudenken, wie geil es wäre, mit Timberlake durch Moskau zu ziehen. Jeden Morgen würden wir in der Präsidenten-Suite des Hyatt-Park-Hotel aufwachen, um uns herum halbnackte Frauen und halbleere Champagnerflaschen, und gleich nach dem Frühstück würden wir an unserem gemeinsamen Remix von » Cry Me a River– A Night In Moscow« arbeiten. Justin säße am Flügel (den er sich natürlich aufs Zimmer bringen ließe), und ich würde einen richtig harten Rap raushauen. Dann lassen wir noch eine Flasche Champagner kommen und Justin sagt zu mir: » Alter, du fühlst die Musik, du fühlst sie wirklich. Lass uns zusammen ein Projekt machen! Wir revolutionieren die Musik! Komm für eine Weile zu mir in die Staaten, vielleicht für ein Jahr oder so!« Aber ich erkläre ihm, ich könne ohne den Geruch Moskaus am Morgen nicht leben und…«
» Ich möchte mit dir zusammenleben. Lass es uns doch mal versuchen. Ich könnte, zum Beispiel, für einige Zeit zu dir ziehen…«
Halt, stopp! Timberlake, mit mir zusammenleben? Ist er schwul, oder was? Dann dringt endlich zu mir durch, dass es Rita ist, die mir diesen Antrag macht, nicht Justin Timberlake. Ich war wohl für einen Moment abgelenkt. Allerdings, bei näherer Betrachtung finde ich einen Antrag von Rita noch um einiges irritierender. Timberlake ist immerhin ein Superstar.
» Was hast du gesagt?« Ich versuche, wieder auf den Boden der Tatsachen runterzukommen. » Du willst bei mir einziehen?«
» Möchtest du das nicht?« Rita presst die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
» Doch, äh, natürlich, wieso denn nicht… Nur… äh… Bei mir zu Hause sieht es aus wie in einem Saustall, weißt du, und da…«
» Du Dummerchen!« Rita streichelt mir über die Wange. » Wir nehmen einfach eine Putzfrau. Hast du denn noch nicht genug von deinem Junggesellenleben? Immer nur Fast-Food, ein schnelles Frühstück im Stehen. Wann hast du das letzte Mal richtige Hausmannskost bekommen? Ich koche gar nicht schlecht, wusstest du das?«
Ich bin mit dem Restaurant-Essen eigentlich ganz zufrieden, denke ich. Laut aber sage ich:
» Das wäre super!«
» Sag ich doch! Aber warum klingst du so traurig?«
» Weil… also… Ich habe noch nie mit einer Frau zusammengelebt. Aber es wäre bestimmt toll, es einmal zu versuchen.«
» Was heißt versuchen? Wir machen es einfach! Am besten gleich nach dem Wochenende!«
» Was denn, nach diesem Wochenende?«
» Natürlich! Ich finde, das ist eine prima Idee!«
Wir küssen uns wieder. Meine Zunge fängt an zu brennen. Wahrscheinlich von dem heißen Kaffee. Bryan Ferry singt » Will You Love Me Tomorrow«.
» Ich liebe dich«, sagt Rita.
» Ich bete dich an«, antworte ich.
Danach tritt eine Pause ein. Ich will nicht abstreiten, dass es mich grundsätzlich anmacht, wenn eine Frau die Initiative übernimmt. Aber dieses Gefühl erstreckt sich keinesfalls auf den Bereich des Zusammenwohnens. Ich schaue demonstrativ auf die Zeitanzeige meines Handys.
» Hör mal, es ist zehn nach drei, ich muss mich jetzt mit diesen Blutsaugern treffen.«
» Gut, ich muss sowieso nochmal ins Büro. Ich hab da was vergessen. Sehen wir uns heute Abend?«
» Ich rufe dich an, nach meinem letzten Termin, okay?«
» Okay. Und wegen der zehntausend sagst du mir heute Abend Bescheid? Oder morgen?«
» Ich bringe sie dir morgen nach dem Mittagessen. Oder gegen Abend.«
Nacht s au f de r Weide
Seit einer halben Stunde sitze ich im Schatjor und warte auf Bucharow. Ich versuche, Schitikow zu erreichen, aber ohne Erfolg. Aus lauter Langeweile überprüfe ich mein Diktaphon– alles in Ordnung. Marina ruft die ganze Zeit an, aber ich gehe nicht ran. Penetrantes Mädchen. Wenn jemand zweimal hintereinander auch
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