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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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erneut aus. Der Mond stand hoch am Himmel und ließ sein Licht wie winzige Elfen über das Wasser tanzen. Der Wind fuhr in die Wipfel der Bäume, Blätter wirbelten über den See, und irgendwo in der Ferne sang ein Vogel. Nando strich mit den Fingern über eine der Säulen, den Blick unverwandt auf den Mond gerichtet, und spürte, wie sich seine Kehle zusammenzog. In der Villa Borghese hatte er früher stets mit seiner Familie den Geburtstag seiner Mutter gefeiert. Sie hatten auf einer Wiese gepicknickt, waren auf dem See, an dem er nun stand, mit Booten herumgefahren, und hatten dem Rauschen der Bäume gelauscht, das in keinem anderen Park Roms so geheimnisvoll und verzaubert klang wie auf den Hängen des Pincio. Nando sog das Bild in sich auf, als würde er es zum letzten Mal betrachten. Er hatte die Sterne aus Feuer und Eis schätzen gelernt, die ihm unter der Erde den Nachthimmel der Oberwelt ersetzten, und er liebte das Rauschen des Schwarzen Flusses und die knarzenden Brücken in ihrem ewigen Auf und Ab. Der Duft des Schlafmohns war sein ständiger Begleiter und er konnte sich seine Tage nicht mehr vorstellen ohne das wispernde Säuseln des Windes, das durch Bantoryns Gassen strich. Ja, die Stadt jenseits des Lichts hatte sich in sein Innerstes geschlichen, und doch … Nie hätte er gedacht, dass ein Anblick wie dieser ihn so ausfüllen könnte wie in diesem Moment.
    »Nun seht euch den an«, zischte es hinter ihm, und auch ohne dass er sich umdrehte, wusste Nando, dass es Paolo war, der Riccardo etwas ins Ohr raunte. »Wahrscheinlich fängt er gleich an zu heulen. Oder er setzt sich hin und schreibt ein Gedicht.«
    Unterdrücktes Lachen drang durch die Reihen, doch da erhob sich der letzte Ritter in die Luft, und Antonio trat auf die Novizen zu, seine Hand ruhte auf seinem Säbel. Sofort verklang jedes Raunen, selbst Paolo wurde ernst. Mit strenger Miene ließ der Engel seinen Blick von einem zum anderen gleiten.
    »Ich begrüße euch zu eurer heutigen Lektion in der Kunst der magischen Kräfte«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Sagt mir: Was ist das Erste, das man als Nephilim können muss, um zu überleben?«
    Nando spürte seinen Blick auf sich und erwiderte unsicher: »Kämpfen?«
    Die anderen nickten zustimmend, doch Antonio schüttelte den Kopf. Da reckten andere Novizen die Hände.
    »Zaubern?«, fragte ein Mädchen namens Ilja mit langen blonden Haaren, doch wieder schüttelte Antonio den Kopf.
    Ein leises Lächeln zog über seine Lippen, als er die Hände faltete, einen Schritt auf die Gruppe zutrat, als wollte er seinen Novizen ein Geheimnis verraten, und leise flüsterte: »Das Erste, was ein Nephilim können muss, ist: weglaufen!«
    Gleich darauf pfiff er so laut durch die Zähne, dass die Gruppe zusammenschrak. Ein dunkles Grollen wie das Brüllen eines Löwen erklang in der Ferne und brachte den Boden zum Erzittern. Nando wusste, dass der Zoo Roms ganz in der Nähe lag, er wusste auch, dass es dort Löwen gab, und wich instinktiv zurück, ebenso wie die anderen Novizen, bis sie dicht vor dem Geländer rings um den Tempel standen. Schwere Pranken rannten über den Boden auf sie zu, Nando hielt den Atem an, als ein letztes Brüllen ihm wie ein Windstoß die Haare aus der Stirn fegte. Zuerst bemerkte er nichts als das leichte Flackern der Luft neben der Statue des Asklepios. Dann trat eine Gestalt hinter dem Sockel hervor – und ließ die Nephilim erschrocken aufschreien.
    Vor ihnen stand ein Mantikor. Sein Löwenkörper war von rotem, flammenden Fell überzogen. Er besaß lederne Schwingen, seine Mähne stand in rauschendem Feuer, und sein Skorpionschwanz erhob sich zitternd in die Luft, als wartete er nur darauf zuzustechen. Sein Gesicht war das eines Mannes, die Haut vernarbt und faltig, die Augen weiß mit einer stechenden Pupille. Der Mund, der sich zu einem gierigen Grinsen verzog, ließ drei Reihen messerscharfer Zähne sehen. Nando spürte den Blick des Mantikors auf seinem Gesicht, er fühlte, wie der Geist dieses Wesens durch seine Haut und sein Fleisch drang, ohne dass er sich dagegen wehren konnte, und sich Stück für Stück durch seine Eingeweide wühlte, ehe er ihn mit einem Schnauben entließ und in die Gruppe starrte.
    »Matradon haust in den Schatten«, raunte der Mantikor mit einer Stimme, die so tief war, dass Nando sie mehr fühlte als hörte. »Er jagt das erste Licht des Tages und verschlingt es mit den Sternen der Nacht. Seine Pranken zerfleischten den Koloss Babylons

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