Nephilim
wusste Nando. Er würde einen anderen Weg gehen müssen als jenen, den der Mantikor erwartete.
Vorsichtig richtete er sich auf und setzte Schritt um Schritt von der Piazzale Napoleone fort. Matradon hatte ihm den Rücken zugekehrt, hochkonzentriert beobachtete er den Park und sprang bei jedem fallenden Blatt einen Satz nach vorn. Lautlos flüsterte Nando die Zauber, die die Luft unter ihm dazu brachten, ihn zu tragen. Die Häuser der Stadt lagen zu seiner Linken, er konnte sehen, wie ihre Lichter zu ihm heraufflammten. Noch wenige Schritte, dann würde er die Schwingen ausbreiten und …
Das schafft der nie.
Die Stimme Paolos zischte durch seinen Kopf, mit einem Schlag waren all seine Gedanken zerrissen. Er wandte den Blick hinab und sah, wie die Nephilim beisammenstanden, Paolo trotz seiner Verletzungen mit feixendem Grinsen in ihrer Mitte. Vor Matradon hatte er seine Gedanken verhüllt, um vor Antonio nicht in Ungnade zu fallen – doch er wusste, dass Nando ihn gehört hatte, das konnte man sehen. Hämisch verschränkte er die Arme vor der Brust, die Gesichter der anderen verzerrten sich zu höhnischen Fratzen. Krampfhaft versuchte Nando, sich auf seinen Zauber zu konzentrieren, doch auf einmal kam er sich selbst lächerlich vor, wie er mit hängenden Schwingen dastand. Schon fühlte er, wie seine Balance ins Wanken geriet, das kaum hörbare Lachen der anderen schnitt ihm ins Fleisch und schwächte seine Konzentration.
Seht ihr, er schwankt schon! Er kann ja nicht einmal seine Flügel gebrauchen, wenn er keine Rüstung trägt!
Nando riss den Blick von den anderen los, doch er schwankte merklich und konnte sich nur im letzten Moment mit einem weiteren Zauber in der Luft halten. Leise entwich die Formel seinem Mund – doch nicht lautlos. Sofort fuhr Matradon herum, die Mähne flammte auf, als er Nando mit seinem Blick erfasste. Grollend sprang der Mantikor auf ihn zu, die Luft erzitterte unter seinen Schwingenschlägen. Nando wich zurück, er verlor den Halt und fiel. Hilflos schlug er mit den Flügeln, doch es gelang ihm nicht, sich in die Luft zu erheben, es war, als wäre er in einen Sturm geraten, der die Welt um ihn herum verzerrte. Schon spürte er den glühenden Atem Matradons auf seiner Haut, die spöttisch verzogenen Gesichter der anderen Novizen brannten sich in sein Fleisch, und gleich darauf drang der Stachel des Mantikors tief in seine Schulter ein. Der Schmerz explodierte in seinem Körper, er wollte schreien, aber das Gift raste durch seine Venen und drückte ihm die Luft ab. Dumpf spürte er, wie er Äste und Zweige der Bäume zerschlug, doch noch ehe er auf dem Boden aufkam, flammte ein Augenpaar vor ihm auf, er fühlte das Feuer der höheren Magie auf seiner Stirn und hörte die flüsternde Stimme der Wüstenglut in seinen Gedanken.
Nimm sie , raunte der Teufel in der plötzlichen Stille der Benommenheit, in der Nandos Körper zusammengekrümmt auf dem Waldboden lag. Der Mantikor würde ihn holen, er würde ihn packen und zu den anderen bringen, und er würde vor ihnen liegen, armselig und besiegt.
Die höhere Magie wird dich heilen , sagte Luzifer, während Nando mit aller Kraft versuchte, sein Bewusstsein zurückzuerlangen. Er konzentrierte sich auf die Schmerzen seines Körpers, doch die Ohnmacht zog an ihm und ließ ihn nicht entkommen. Er meinte, eine schemenhafte Gestalt zu erkennen, die durch die Schatten des Unterholzes auf ihn zutrat, und er spürte die Hand des Teufels in seinem Nacken. Sie war kühl und linderte seine Schmerzen wie ein erfrischender Luftzug.
Fürchte dich nicht, fuhr Luzifer fort und die schneeweiße Flamme flackerte vor Nandos Augen. Diese Magie wird den lächerlichen Gestalten, die über dich lachen, die dich verachten und beschimpfen, die Mäuler stopfen. Sie wird das Gift Matradons aus deinem Körper ziehen und …
Nando hob den Arm und schlug in Richtung der Gestalt, doch seine Hand griff ins Leere. Die Flamme verschwand vor seinem Blick, stattdessen hörte er Matradon durch die Bäume brechen. Dumpf spürte er, wie der Mantikor ihn packte und sich mit ihm in die Luft erhob, und er hörte die Stimme des Teufels, als flüsterte dieser ihm ins Ohr.
Matradon ist einer der mächtigsten Dämonen, die mir einst gefolgt sind, raunte Luzifer. Du bist nur ein Mensch, solange du dich gegen die Kraft wehrst, die du durch mich erlangen könntest, eine armselige, unwissende Kreatur, getrieben von Furcht und Zweifeln und von Dingen, die du niemals begreifen wirst.
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