Nephilim
warf einen Schwarm schwarzer Flammen auf die Peitsche, der sie mit zischendem Geräusch auflöste. Die Vestalin fuhr herum, doch schon verwandelten die Flammen sich in ein Geflecht aus glühenden Fäden, das sich in rasender Geschwindigkeit um ihren Leib wickelte und tief in ihr Fleisch drang. Nando hörte sie schreien, es war ein Laut wie ächzende Bäume im Sturm. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, ehe sie ihren Körper in die Unsichtbarkeit zurückzwang und nichts als feiner Nebel zurückblieb.
Ilja hatte inzwischen das Portal erreicht, das sich als blau flackernde Säule aus Licht vor dem Triumphbogen des Septimus Severus in die Nacht erhob. Nando sah noch, wie sie sich zu ihm umdrehte, ehe sie darin verschwand. Dann legte er die Schwingen an den Körper und eilte auf den Faustina-Tempel zu. Die Fassade des Tempels wurde von sechs siebzehn Meter hohen Säulen aus Cipollino-Marmor dominiert, zwei weitere Säulen gab es an den Seiten, und die Cella zierte ein Relieffries aus Greifen und Pflanzenornamenten. Seit Nando zum ersten Mal im Forum Romanum gewesen war, hatte er diesen Tempel geliebt und ihn aufgrund seiner Größe und düsteren Schönheit bewundert. Flackerndes Licht flutete durch das aus den Angeln gebrochene Eingangstor, die Schreie der Nephilim hallten durch die Nacht, und mächtige magische Schübe brachten die Luft zum Erzittern. Nando schoss senkrecht in die Höhe, direkt auf den Mond zu, der kühl und reglos über dem Forum stand, und holte tief Atem. Ja, er hatte den Faustina-Tempel schon immer gemocht. Aber manchmal musste man Opfer bringen für das, was wirklich wichtig war. Er hielt inne, schwebte für einen winzigen Moment direkt über dem Tempel – und raste dann kopfüber und mit vorgestreckter linker Faust hinab.
Sein Schrei hallte wie Donner durch die Ruinen, und als er seine Faust mit einem gewaltigen Feuerzauber auf das Dach des Tempels niedersausen ließ, peitschte die Wucht des Schlags schmerzhaft durch seine Knochen. Gleichzeitig sprühten Funken in die Nacht, der Rauch berstender Gesteine hüllte Nando ein, das Tempeldach ächzte unter ihm. Noch einmal holte er mit der Faust aus und ließ sie niedersausen, und da brach das Dach mit Getöse ein und riss ihn mit sich. Atemlos breitete er die Schwingen aus und wäre trotz einiger Steinbrocken, die ihn trafen, wohl in die Nacht entkommen, wenn nicht plötzlich eine Geißel aus Licht durch den Rauch auf ihn zugeschossen wäre. Er sah noch das wutverzerrte Gesicht einer Vestalin, die am Boden kauerte, dann spürte er die Flammen ihrer Geißel um seinen Leib und den kräftigen Zug, mit dem sie ihn abwärtszerrte. Gleich darauf fiel ein Steinquader von der Decke und traf die Vestalin, deren Leib sich in tanzendem Nebel in die Luft erhob. Doch Nando sah es kaum. Unfähig, seine Schwingen zu bewegen, raste er auf den Boden zu. Im letzten Moment zerriss er die Fessel, doch es war schon zu spät. Hart schlug er auf den Trümmern auf, ein stechender Schmerz durchzuckte seine rechte Schulter. Schwer atmend errichtete er einen Schutzwall über sich, doch jeder Gesteinsbrocken, der davon abprallte, brachte dem Zauber knisternde Kratzer bei, und Nando fürchtete, dass er jeden Augenblick unter dem einstürzenden Dach bersten könnte.
Endlich verebbte der donnernde Lärm. Vereinzelt stürzten kleinere Steine durch Schwaden aus Rauch, das Mauerwerk des Tempels stöhnte wie berstende Gebirge. Hustend ließ Nando seinen Schutzzauber fallen und wollte sich gerade aufrappeln, als Gestalten durch den Rauch brachen – Frauen in langen Gewändern, die Haare zu Zöpfen gebunden und die Blicke in tödlichem Ernst auf ihn gerichtet. Knirschend schoben die Vestalinnen, die unter der Last des Daches begraben worden waren, die Steine von ihren Körpern oder lösten sich in feinen Nebel auf, nur um sich sofort wieder zusammenzufügen und lautlos auf Nando zuzugleiten.
Atemlos kam er auf die Beine. Der Schmerz in der rechten Schulter strömte wie glühendes Pech durch sein Fleisch. Seine Faust zitterte, als er einen Flammenzauber sprach und den Arm zur Verteidigung hob. Noch lagen die Augen der Vestalinnen in blindweißem Nebel, doch schon glomm ein heller Schimmer durch die Dämmerung – wie eine Pupille, aus Sonnenerz geschmiedet. Für einen Augenblick dachte Nando an die Nephilim, die ihren Schutzwall nun fallen lassen und fliehen konnten, solange er die Aufmerksamkeit der Vestalinnen auf sich lenkte. Sie würden durch den Rauch unbemerkt verschwinden können
Weitere Kostenlose Bücher