Nephilim
und er stürzte in die Dunkelheit, rückwärts und ohne Halt. Keuchend kam er zu sich. Die Vestalinnen standen noch immer nur wenige Schritte von ihm entfernt, doch ihre Blicke hatten sich von ihm abgewandt. Stattdessen musterten sie die Gestalt, die direkt vor ihm stand und auf den ersten Blick wie ein junger Engel wirkte. Nando rappelte sich auf, er kniff die Augen zusammen. Nein, es war ein Nephilim.
Mit einem Schrei stieß Riccardo die Arme vor und schleuderte einen Blitzzauber gegen die Vestalinnen, die mit heiserem Kreischen zurückwichen. Da stürzten weitere Gestalten herbei, es waren die anderen Novizen, all jene, die Nando bereits in Sicherheit geglaubt hatte. Mit zornigen Gesichtern bauten sie sich vor und neben ihm auf, flammende Zauber schossen aus ihren Fäusten, und als Nando seinen linken Arm vorstreckte und Seite an Seite mit ihnen die Vestalinnen zurücktrieb, verschmolz seine Stimme so vollständig mit den ihren, dass er meinte, sie sprächen mit demselben Mund. Mit jedem Ruf der anderen kehrte die Kraft zu ihm zurück, es gab keine Unterschiede mehr zwischen ihnen, keinen Groll, keine Furcht. Sie alle waren Nephilim, und sie wehrten sich Seite an Seite gegen den gemeinsamen Feind.
Mehrere Novizen breiteten die Schwingen aus und sprangen hinter die Vestalinnen, wo sie Spiegelzauber errichteten. Schnell taten Nando und die anderen es ihnen gleich und begannen, einander Zauber zuzuspielen, die wie zischende Speere durch die Luft flogen und immer wieder die Körper der Vestalinnen trafen und sie zwangen, sich in Nebel aufzulösen. Nando spürte seinen Herzschlag im ganzen Körper, wie berauscht kämpfte er inmitten der anderen. Ohne Unterlass brüllten sie Zauber und wehrten die Angriffe ab, doch ihre Kräfte waren nicht unerschöpflich. Langsam wurden ihre Zauber schwächer, während die Vestalinnen scheinbar unermüdlich ihre Magie über ihnen entluden und mit aller Grausamkeit, die sie in sich trugen, nach den Kehlen der Nephilim griffen. Schon schrien einige Novizen auf, das Licht der Vestalinnen packte sie und hob sie empor, während die anderen hilflos versuchten, sie zu befreien. Nando schwankte, die Zauber hatten ihn viel Kraft gekostet. Schon hob eine Vestalin die Faust und warf ein glühendes Netz aus Feuer nach ihm aus. Da griff er in seine Tasche und riss die Scherbe von Ilja heraus. Donnernd kam sein Zauber über seine Lippen, flammendes Licht brach durch die Scherbe. Mit lautem Kreischen wichen die Vestalinnen zurück, als Nando auf die Beine sprang und das Netz seiner Angreiferin zu Asche verbrannte. Grell warf sich der Blendzauber auf die Augen der Vestalinnen, sie hoben die Hände und kreischten wie unter Schmerzen.
»Schnell!«, rief Nando gegen die Schreie an und eilte mit den anderen Nephilim durch die zerbrochene Tempeltür. Riccardo und zwei weitere brüllten einen Zauber und schickten Flammen in den Tempel. Im nächsten Moment flog Nando durch die Luft, die Scherbe entglitt seinen Händen. Hart schlug er auf, Gesteinsbrocken krachten neben ihm auf den Boden. Er hörte die Schreie der Vestalinnen, die von der Wucht der vereinten Zauber gepackt und davongeschleudert wurden, und wusste, dass er sich dennoch beeilen musste, das Portal zu erreichen. Schwer atmend krallte er seine metallene Hand in einen nahe liegenden Felsbrocken, doch er konnte sich nicht daran hochziehen. Die Erschöpfung pochte in seinen Schläfen. Er würde es niemals schaffen, das Portal zu erreichen, ehe die Vestalinnen zurückkehrten und ihn fanden, er …
»Komm.«
Wie durch einen Schleier hörte er dieses Wort. Halb benommen hob er den Blick und schaute auf die ausgestreckte Hand vor seinem Gesicht. Erst dann erkannte er, dass sie zu Riccardo gehörte, doch dessen Antlitz wirkte seltsam fremd. Wortlos ergriff Nando seine Hand und kam mit Riccardos Hilfe auf die Beine. Sie sahen einander an, schweigend und ein wenig verlegen, und da wusste Nando, aus welchem Grund ihm das Gesicht des anderen so fremd erschien: Riccardo lächelte. Er tat es ohne Grausamkeit, ohne Hohn und Missachtung, selbst ohne Vorsicht und Kälte. Nando öffnete den Mund, um etwas zu sagen, irgendetwas, das diesen zerbrechlichen und doch so starken Moment nicht zerstören würde, doch noch ehe er ein Wort über die Lippen bringen konnte, drang ein Dröhnen durch die Nacht, das ihm das Blut aus dem Kopf zog. Riccardos Blick flog zum Himmel, und Nando hörte das Rauschen, das auf einmal über die Ruinen des Forums glitt wie ein
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