Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
Begegnung vorbereitet, und was tat er, als es so weit war? Er benahm sich wie ein unfähiger Rekrut in der Grundausbildung! Der Blick des Fremden strich über seine Haut, und er ertrug die Kälte, die ihn als Fessel umgab. Dann hob der Fremde den Arm. Seine Kutte glitt ein Stück zurück und gab den Blick frei auf durchscheinend weiße Hände mit schwarzen, eingerissenen Nägeln. Avartos starrte auf diese Hände, er wusste, dass sie noch niemals das Tageslicht gefühlt hatten oder den Schein des Mondes. Diese Hände waren dem Licht geweiht, das aus der Finsternis entsprang, und allein ihr Anblick ließ ihn frösteln.
    Eilig griff er in seine Tasche und zog den blutigen Fetzen hervor. Der Fremde hielt ihm die Hand entgegen, kurz berührten sich ihre Finger. Avartos erschrak, er konnte nichts dagegen tun. Die Hand des Fremden war kalt, doch nicht so wie die eines Toten, sondern wie die Hand eines Wesens, das niemals im Besitz warmen Blutes gewesen war. Frost zog über Avartos’ Finger hin, es schien ihm, als würde die Kälte des Fremden durch diese Berührung erneut in ihn eindringen, und er starrte in die Finsternis der Kapuze, in der er nichts erblickte als undurchdringliche Schwärze. Der Fremde ergriff den Fetzen, seine Finger glitten darüber wie über das weiche Haar eines Menschen, und eine so grausame Sehnsucht und Zärtlichkeit lag in dieser Geste, dass Avartos schaudernd die Hand zurückzog. Gleich darauf spürte er einen Windzug im Gesicht und sah mehrere Kreaturen, die sich an dem Bruder des Lichts vorbeischoben, um dicht neben ihm innezuhalten. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie Hyänen mit stumpfem schwarzen Fell, das sich im Nacken sträubte, und scharfen Krallen. Erst bei näherem Hinsehen erkannte Avartos, dass die Wesen an mehreren Stellen Brandnarben hatten, und ihre Augen waren mit groben Stichen zugenäht. Schaudernd wich er zurück, als die Hyänen die Lefzen hoben und gierig witterten. Es schien ihm, als sögen sie seinen eigenen Geruch in sich auf, als würden sie ihm einen Teil von sich rauben, der nun auf ewig in der blinden Finsternis ihrer Körper widerhallte.
    Der Fremde ließ die Hand sinken, reglos schauten die Hyänen zu ihm auf, bis er den Fetzen in ihre Mitte warf. Sofort schnellten sie vor, zerrissen den Stoff und verschlangen jeweils ein Stück. Kurz starrten sie Avartos aus ihren blinden Augen an, dann neigten sie die Köpfe, während ihre Körper sich zusehends den Schatten um sie her anpassten. Avartos konnte sich einer gewissen Faszination nicht erwehren, als die Tiere nichts mehr waren als schemenhafte Umrisse in der Dunkelheit des Ganges. In einer plötzlichen Bewegung riss der Bruder des Lichts die Hand empor. Die Hyänen warfen sich herum, wie entfesselt sprangen sie in die Finsternis und heulten so markerschütternd, dass ihre Stimmen den Gang zum Erzittern brachten. Steine fielen von der Decke, Avartos wich vor ihnen zurück. Er sah noch, wie die Hyänen in der Dunkelheit verschwanden, erkannte auch den Fremden, der vollkommen reglos dastand und ihn aus der Nacht seiner Kapuze heraus anstarrte. Dann stob ihm erneut der Windstoß ins Gesicht, härter dieses Mal und mit schmerzhafter Kälte. Kurz meinte er, den Bruder lachen zu hören, es war ein Laut voller Verachtung. Dann flammte die Finsternis vor ihm auf, und noch ehe er einen weiteren Blick auf den Fremden hätte werfen können, war dieser in den Schatten verschwunden.

25
    Sieben Tage dauerte die Zeit der Trauer, in der ganz Bantoryn Silas gedachte. Der Trauerflor um die Sterne aus Feuer und Eis war geöffnet worden und hing nun wie in Fäden aus schwarzem Nebel bis auf die höchsten Türme der Stadt hinab. Schwarze Fackeln ersetzten die Laternen, und jeder Unterricht der Akademie unterblieb. Viele Novizen zogen für diese Zeit zu ihren Eltern, zu Freunden oder Verwandten, und als Nando am dritten Abend durch die Akademie ging, kam er sich vor wie der letzte Überlebende in einem Geisterschloss.
    Die vergangenen Abende hatte er gemeinsam mit Kaya und Antonio bei Morpheus verbracht. Sie hatten zusammengesessen, die meiste Zeit schweigend, in das Feuer des Kamins gestarrt und Perr getrunken, einen sehr starken Branntwein, der jeden Olyg übertraf und den Morpheus höchstpersönlich destillierte. Kaya war bereits vom Geruch des Alkohols schwindlig geworden und bald darauf eingeschlafen, und Morpheus schien wie ein Fass ohne Boden zu sein, denn er trank und trank, ohne dass er einen gewissen Grad an Betrunkenheit

Weitere Kostenlose Bücher