Nephilim
später«, sagte Noemi, doch ihre Stimme klang seltsam fremd, als wäre sie lange nicht benutzt worden. Nando wollte etwas erwidern, aber Noemi ließ ihn nicht zu Wort kommen. Sie gab ihm einen Stoß vor die Brust, der ihn rückwärts in den Raum trieb. Er warf den anderen Nephilim einen Blick zu, die ihnen im Gleichschritt folgten, und da sah er, was nicht stimmte: Riccardo war nicht unter ihnen. Nando erinnerte sich an den Blick des Novizen, mit dem er ihn im Forum Romanum betrachtet hatte, und an den Schleier aus Kälte, der sich gleich darauf über seine Züge gelegt hatte. Doch er hatte Noemi nicht hierher begleitet. Was sie auch vorhatte: Riccardo hatte sich dagegen verwahrt.
Noemis Augen waren noch immer pechschwarz, ihr Gesicht war bleich und ausgezehrt wie nach einer langen Krankheit, und Kälte drängte von den Rändern ihrer Augen in die Schwärze hinein und ließ sie zu Eis erstarren.
»Silas ist tot«, flüsterte sie so leise, dass Nando sie kaum verstehen konnte, doch ihre Worte durchschnitten die Luft wie unsichtbare Messer und hinterließen drei blutige Kratzer in seiner rechten Wange. Er spürte den brennenden Schmerz und das Blut, das als feines Rinnsal seinen Hals hinablief. Instinktiv errichtete er einen Schutzwall um sich, doch Noemi lachte hart auf.
»Narr von einem Nephilim!«, rief sie und hob beide Arme in seine Richtung. Flammen liefen über ihre Fäuste, Nando erkannte schuppige Leiber darin und scharfe, flackernde Zähne, die gleich darauf wieder mit dem Feuer verwuchsen, das Noemi aus ihrem Inneren rief. Die Zeichen unter ihrer Haut begannen zu glühen. »Deinetwegen ist Silas ermordet worden! Und du hast noch nicht einmal versucht, ihn zu retten, du, der große Teufelssohn!«
Da trat Nando einen Schritt vor. »Doch, das habe ich«, erwiderte er, so ruhig er es vermochte. »Ich habe getan, was ich konnte, aber … «
»Aber du warst zu schwach!«, unterbrach sie ihn. »So ist es gewesen, und wegen deiner Schwäche hat mein Bruder sein Leben verloren! Du warst da! Du hättest ihm helfen müssen! Aber du hast es nicht getan, du hast ihn im Stich gelassen, und jetzt ist er tot! Weißt du, was das bedeutet? Weißt du, was es heißt, wenn man seinen Bruder verliert?« Ihre Stimme war leise geworden bei ihren letzten Worten, fast zerbrechlich klang sie und hielt jede Erwiderung hinter Nandos Lippen zurück. »Du weißt es nicht«, flüsterte sie, während sich eine einzelne Träne in ihrem linken Auge sammelte. »Aber du wirst erfahren, was Silas erdulden musste – und mehr als das!«
»Was willst du tun?«, fragte Nando und erschrak von dem tonlosen Klang seiner Stimme. »Willst du mich umbringen?«
Noemi schob das Kinn vor, sie sah ihn von oben herab an, obwohl sie kleiner war als er. »Nein«, erwiderte sie kaum hörbar. »Ich will, dass du die Schmerzen fühlst, die ich fühle – die Schmerzen, die meine Mutter ertragen musste, als sie von den Engeln erschlagen wurde, und die meines Vaters, als er in den Flammen des einstigen Teufelssohns den Tod fand – die Qualen, die Silas erlitt, allein und ohne Hilfe! Ich will, dass du begreifst, was das heißt: voller Schmerz zu sein, so sehr, dass man sich den Tod wünscht, da es keine größere Grausamkeit gibt, als am Leben zu bleiben!«
Mit diesen Worten öffnete sie die Fäuste und entließ das Feuer, das sich gerade noch wie lebendige Schlangenleiber um ihre Arme gewunden hatte. In der Luft formte es sich zu einem gewaltigen Schlangenkopf, grünes Feuer loderte aus den flackernden Augen, als er auf Nando zuschoss. Eilig schleuderte dieser einen grellen Speer aus Licht mitten in den Rachen der Schlange, doch noch während er deren Schädel durchschlug, grub das Untier seine Zähne in Nandos Schutzwall. Ätzendes Gift schoss aus ihnen hervor, der Schild brach wie berstendes Glas. Zischend fraß sich das Gift in den Boden und hätte auch Nando getroffen, wäre er nicht vor dem fallenden Schlangenkopf beiseitegesprungen, der donnernd aufschlug und in flammende Funken zerbrach.
Nando riss sein Schwert empor und wehrte den Eiszauber ab, der in Gestalt eines zuckenden Blitzes auf ihn niederprasselte. Noemi sprang durch die Luft auf ihn zu, sie hielt ihre Messer in beiden Händen und schoss blaue Lanzen aus Flammen daraus, während ihre Schergen Nando umkreisten und nur darauf warteten, in den Kampf einzugreifen. Doch das war nicht nötig. Noemi wirkte mächtige Zauber gegen ihren Feind, sie nutzte die höchste Magie mit all ihrem Zorn. In
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