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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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jemals überschritt. Nando blieb stets bei einem halben Glas, denn er wollte seinen Schmerz über Silas’ Tod nicht betäuben. Es wäre ihm wie eine Feigheit erschienen, eine Schwäche, derer er sich nicht schuldig bekennen wollte.
    Antonio hielt für gewöhnlich nicht viel von Alkohol. Nando konnte sich nicht erinnern, ihn jemals berauscht oder auch nur ansatzweise mit schwindender Kontrolle gesehen zu haben, und auch an diesen Abenden hatte der Branntwein keine sichtbaren Auswirkungen auf den Engel. Doch allein die Tatsache, dass er Perr trank, verursachte ein angespanntes Ziehen in Nandos Magengegend, und immer wenn er in Antonios schwarzgoldene Augen sah, wusste er, dass er in diesen Tagen mit den Gedanken weit fort war. Er hatte Bantoryn mit seinen eigenen Händen erbaut, er hatte die Nephilim in die Stadt geholt, und auch wenn diese Aufgabe für ihn allein nicht zu bewerkstelligen war und er das wusste, sah er sich doch in der Pflicht, jeden Einzelnen von ihnen zu beschützen. Sie alle sind wie Räume in meinem Inneren , hatte er Nando einmal nach einer ihrer abendlichen Übungsstunden gesagt. Und wenn einer von ihnen stirbt, schlägt die Tür zu seinem Raum für immer zu und hinterlässt eine schwarze, wunde Stelle in mir, die ich nicht begreifen und nicht erfühlen kann. Doch ich bin ein Engel, Nando, ein Geschöpf der Ewigkeit, dem einst genommen wurde, was du noch besitzt. Ich kann nur erahnen, was der Tod eines sterblichen Wesens einem Nephilim wie dir bedeutet. In diesen Tagen dachte Nando oft an diese Worte, und es schmerzte ihn, seinen Mentor reglos in dem Sessel nahe beim Kamin sitzen zu sehen, zusammengesunken, als würde er frieren, und mit diesem schwarzen, verhangenen Blick, der wie ein Abgrund war, in den man stürzte, ohne jemals aufzuschlagen. Vielleicht war es das, was die wahrhaft alten Engel und Dämonen von den Nephilim unterschied: Vielleicht waren sie alle nichts als Abgründe, in die sie selbst fielen, ohne jemals den Boden zu erreichen.
    Die Brak’ Az’ghur waren in den vergangenen Tagen wenig von Engeln frequentiert worden, und so wagten sich manche Nephilim für Streifzüge hinaus. Viele gingen auch in die Schatten, um zu trauern. Nando hatte das hin und wieder ebenfalls getan, aber die Stille in der Dunkelheit erdrückte ihn zunehmend, und so war er lieber mit Antonio und Kaya zu Morpheus gegangen. Auch an diesem Abend hätte er sich ins Schlangenviertel begeben können, doch er war es leid, den Blicken der anderen Nephilim zu begegnen. Er konnte das Tuscheln hinter seinem Rücken nicht mehr ertragen, und er wollte sie nicht hören, die wie beifällig direkt neben ihm fallen gelassenen Bemerkungen über den Teufelssohn, der die Stadt wie schon einmal ins Unglück stürzte. So war er in der Akademie geblieben. Kaya schlief oben in seinem Zimmer, die durchzechten Nächte hatten ihr die Kraft geraubt, sagte sie, obgleich sie von ihnen nur wenig mitbekommen hatte. Nando hingegen vermutete, dass ihr die Trauer der Stadt naheging, wie es für eine Dschinniya üblich war. Ihm war es recht, denn ihm stand nicht der Sinn nach Gesprächen. Seine Gedanken wogen zu schwer, als dass er sie auf seine Zunge hätte hieven können. Und so lief er durch die Korridore, weil sein Zimmer ihm mit dem immer gleichen Ausblick auf die Schwarze Brücke zu eng geworden war, hörte auf das leise Knarzen der Holzböden und lauschte auf das Echo, das seine Schritte in den verlassenen Gängen verursachten.
    Vor einigen Jahren war auch Silas durch diese Korridore gelaufen, hatte in den Räumen der Kellergewölbe bei Drengur Unterricht gehabt und sich den Prüfungen unterziehen müssen, die jeder Novize der Akademie bestehen musste. Nachdenklich betrat Nando den Essenssaal, in dem er Silas zum ersten Mal begegnet war, und ließ den Blick über die Tische gleiten, die vom fahlen Licht einer einzelnen Fackel erhellt wurden. Dort im Durchgang zur Küche hatte Silas gestanden, hatte Nando von Noemi und ihren Freunden befreit und sich seiner angenommen.
    Gerade wollte Nando einen Schritt in den Raum hineintun, als ein eisiger Atemzug seine Wange streifte. Er fuhr herum – und schaute in das wachsbleiche Gesicht Noemis. Hinter ihr erkannte er Paolo und fünfzehn weitere Nephilim. Sie hatten die Arme vor der Brust verschränkt, in ihren Gesichtern stand keine Regung. Nando spürte den Schauer, der seinen Rücken hinabglitt. Irgendetwas stimmte hier nicht.
    »Ich wusste, dass ich dich hier finden würde, früher oder

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