Nephilim
bei lebendigem Leib verbrannten, brach etwas in mir auf, das ich mit aller Macht zu überdecken versucht hatte und das mir eines plötzlich klarmachte: Ich bin nicht frei gewesen. Ich war auf der Flucht. Diese Erkenntnis trieb mich über meine Grenzen hinaus, ich stürzte in die Schreie der Kinder und bin sie bis heute nicht losgeworden, nicht nachts, wenn ich schlafe, nicht tagsüber, nicht einmal jetzt, da wir uns unterhalten. Sie sind wie mein Herzschlag geworden, und sie erinnern mich an einen Schwur, den ich in der Morgendämmerung des kommenden Tages auf ihrer Asche leistete: Ich bin ein Dämon, ein Kind der Hölle, ich werde die Finsternis niemals verlassen können. Aber ich werde kein Teil des Verderbens werden, das meinesgleichen unter der Faust des Höllenfürsten über die Welt hereinbrechen lassen will, ich werde keine Unschuld erschlagen, die ich niemals bekommen kann. So kam es, dass ich mich von meinem Fürsten abwandte. Ich war es, der ihn verriet und ihm das Schwert Bhalvris entwendete. Doch eine Abkehr von ihm ist alles andere als leicht. Ich lebte lange auf Wanderschaft, ehe ich mich mit falscher Identität in Or’lok niederließ, der größten freien Dämonenstadt, die es in dieser Welt noch gibt. Doch nicht alle Dämonen, die dort leben, haben den Teufel hinter sich gelassen. Einige sind ihm noch immer treu. Ich lebte in ständiger Furcht, von ihnen entdeckt zu werden. Doch stattdessen fand mich Bhrorok – und er hätte mich für meinen Verrat getötet, wenn Yrphramar mich nicht gerettet hätte. Yrphramar, der Jäger meines Volkes, den auch ich einst fürchtete – er kam mir zu Hilfe. Er schleuderte Bhrorok in die Dämmerung Ambyons, das Reich meines Volkes zwischen Leben und Tod, und brachte mich nach Bantoryn. In Or’lok war ich nicht länger sicher, und so fand ich nach der Heilung meiner schweren Wunden in der Stadt jenseits des Lichts eine Heimat – vielleicht die erste, die ich jemals hatte. Die Verfolgung durch äußere Dämonen war somit beendet, doch … Nicht nur sie haben mir die Abkehr vom Teufel schwer gemacht. Denn jeder Dämon, der einen Pakt mit ihm eingeht, zahlt einen hohen Preis. Ich wurde ein Teil seiner Stärke und er wurde ein Teil von mir. Bis heute vermag er es, mit mir in Kontakt zu treten, und bis heute kämpfe ich jeden Tag gegen seine Stimme. Es fällt mir nicht leicht – es ist ebenso schwer für mich wie das harmonische Spiel auf dieser Geige. Doch die Stimmen der Kinder erinnern mich an meinen Schwur, und sie halten mich aufrecht in der Finsternis.«
Nando nickte nachdenklich. »Du bist der Dämon, der Luzifer verriet«, sagte er leise. »Du bist ein Krieger, ein Dämon des Neunten Kreises, und selbst du hast Probleme damit, dich gegen ihn zu wehren. Ich bin nur ein Nephilim, noch dazu einer aus der Oberwelt, ich … «
»Nein«, erwiderte Drengur, und er tat es mit einer Schärfe, die Nando auf der Stelle innehalten ließ. »Du bist der Teufelssohn.«
Nando lachte bitter. »Es hat schon einmal einen Teufelssohn in dieser Stadt gegeben, einen Nephilim wie mich, der Bantoryn in Schutt und Asche legte und unendliches Leid über die Bewohner brachte.«
Drengur sah ihn an, etwas wie Spott flackerte über sein Gesicht. »Wem willst du etwas über den Teufelssohn erzählen?«, fragte er kalt. »Ich kannte ihn gut. Und ich weiß um die Kämpfe, die er ausfechten musste in dieser Stadt. Manches ist anders, als es auf den ersten Blick scheint, Nando, wenigstens das solltest du inzwischen gelernt haben.«
Nando zog die Brauen zusammen. »Ich weiß, was der Teufelssohn getan hat. Und eines kann ich ganz sicher sagen: Ich würde mir nicht vertrauen! Gerade du solltest ernst nehmen, was ich sage, gerade du, der gesehen hat, was der Teufelssohn getan hat, du, der weiß, wie stark die Stimme Luzifers sein kann!«
»Oh ja, das weiß ich«, erwiderte Drengur ruhig. »Und ich beobachte dich, dessen sei dir gewiss. Aber es wäre schlimm um die Welt der Schatten bestellt, wenn wir für die Vergangenheit verurteilt werden würden – noch dazu für eine, die wir nicht verursacht haben und über die wir viel zu wenig wissen. Darüber hinaus bist du mehr als das Blut in deinen Adern. Du bist immer noch ein Mensch, das solltest du nicht vergessen. Denn das ist es, was dich von ihm unterscheidet – er war niemals ein Mensch.«
»Und was, wenn ich diesem Kampf nicht gewachsen bin?«, fragte Nando kaum hörbar. »Was, wenn ich wieder in eine Situation komme, in der ich an meine
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