Nephilim
verfolgt und getötet. Wärest du nicht in dieser Stadt, würdest du kein Teufelsblut in dir tragen, wäre dein Schicksal vielleicht über ein anderes Höllenkind hereingebrochen und mit ihm der Tod vieler Ritter und Novizen, die den Engeln zum Opfer fallen. Du bist nicht das erste Teufelskind, Nando. Das alles wird erst ein Ende haben, wenn Luzifer nicht mehr existiert.«
Nando nickte langsam, doch er sah Drengur nicht an. Vor seinem inneren Auge fiel Silas in den Staub, legte Nandos Hand auf den Knauf seines Schwertes und lächelte ein letztes Mal, ehe er starb. Nando schüttelte den Kopf, um die Bilder aus seinem Kopf zu vertreiben, und setzte sich auf den Boden. Schweigend grub er seine Finger in die trockene Erde, sie fühlte sich warm und staubig an und verströmte einen dunklen, schwermütigen Geruch. Für einen Augenblick schien es ihm, als wäre nicht er es, der diesen Duft empfand, sondern jemand anders, der seinen Körper nutzte, um mit seinen Sinnen wahrnehmen zu können. Doch der Moment währte nur kurz und hinterließ nichts als eine grausame Gewissheit. Silas würde diesen Geruch niemals mehr empfinden können.
»Ich habe versucht, ihn zu retten«, sagte Nando kaum hörbar. »Aber ich konnte es nicht. Ich bin zu spät gekommen.«
Drengur nickte langsam, aber nicht so, als würde er Nando zustimmen, sondern als hätte er dessen Worte vorausgeahnt und sie nun erstmals aus seinem Mund vernommen. »Silas war ein Ritter Bantoryns«, erwiderte er ruhig. »Er hat sein Leben dem Schutz der Nephilim verschrieben, und er hat drei Klassen der Akademie vor dem Tod bewahrt, indem er sich selbst opferte. Du solltest sein Andenken nicht mit Gedanken wie Schuld beschmutzen, sondern es ehren, indem du seiner Tapferkeit und Stärke gedenkst.«
Nando wusste von Antonio, dass auch Drengur so etwas wie ein Ritter gewesen war – früher, noch ehe er nach Bantoryn gekommen war. Er hatte nie erfahren, wo sein Lehrer gedient hatte, doch nun, da er auf diese Weise von Schuld und Mut sprach, konnte Nando das Ehrgefühl erahnen, das er bereits in Silas’ Worten gespürt hatte, und er senkte den Blick.
»Ich kann nicht weitermachen wie bisher«, wiederholte er. »Deswegen habe ich den Brief geschrieben.«
Drengur rührte sich nicht. »Du hast Angst«, sagte er und verbarg nicht im Mindesten die Geringschätzung in seiner Stimme.
»Ja«, erwiderte Nando und hob den Blick. Zorn flammte hinter seiner Stirn, er bemühte sich, ihn zurückzuhalten, doch es wollte ihm nicht vollkommen gelingen. »Ich habe Angst davor, mit meiner Ausbildung fortzufahren, und ist das so schwer zu begreifen?« Er hielt kurz inne, und leise, fast flüsternd, setzte er hinzu: »Schon einmal hat ein Teufelssohn die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt, und ich … ich hätte Noemi beinahe umgebracht.«
Drengur nickte langsam. »Ja«, sagte er. »Das hättest du. Du wärest fast seiner Stimme gefolgt, nicht wahr?«
Nando wollte etwas erwidern, aber auf einmal war sein Mund trocken wie die Erde, auf der er saß. Drengur musterte ihn schweigend. Seine Augen waren kalt, beinahe meinte Nando, ihre eisige Glut auf seiner Haut spüren zu können.
»Im Gegensatz zu Antonio habe ich dir von Anfang an misstraut. Ich wusste, dass du schnell lernen und stärker werden musst, um der Kraft gewachsen zu sein, die in dir ruht. Denn Luzifer hat nur dann Macht über dich, wenn du seinen Lockrufen folgst, und du folgst ihnen nur dann, wenn du dich selbst schwach fühlst. Aus diesem Grund war ich hart zu dir: um dich stark zu machen gegen seine Stimme. Nun hast du deine Grenzen kennengelernt im Kampf mit Noemi. Und hinter ihnen, das hast du erfahren, wartet der Teufel auf dich. Seine Stimme flüstert in deinen Gedanken, es fällt dir nicht leicht, ihr zu widerstehen.«
Nando zog die Brauen zusammen. »Ja, aber woher … «
»Woher ich das weiß?«, fragte Drengur ruhig. »Nun, ich weiß, was es bedeutet, den Teufel in sich zu tragen, und wie mächtig seine Stimme werden kann. Aus diesem Grund misstraue ich dir – wie ich mir misstraue.«
Mit diesen Worten griff er nach der Geige, und obgleich Kaya verächtlich schnaubte, hielt sie ihn nicht davon ab. Schweigend zog sie sich ins Innere des Instruments zurück, während Drengur sich ein wenig vorsetzte und sanft mit dem Bogen über die Saiten strich. Er schloss die Augen, und Nando spürte, wie der betörende, klagende Ton, den Drengur dem Instrument entlockte, auch seine Lider schwer machte. Es war, als erklänge
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