Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
Grenzen getrieben werde? Was, wenn der Teufel es dann schafft, mich auf seine Seite zu ziehen?«
    Drengur hob leicht die Achseln. »Dann wird er die Macht über dich ergreifen und sich mit deiner Hilfe befreien.«
    Nando stieß die Luft aus. »Großartig, das ist mir bewusst. Aber seine Worte sind anders als das, was ich gerade in deinen Augen gesehen habe. Sie sind verführerisch. Ich glaube nicht, dass er mich anlügt, obwohl ich es vielleicht lieber glauben sollte, denn … «
    »Nein.« Drengur schüttelte den Kopf. »Luzifer lügt nicht. Er ist ein Verführer, ein Trugbild hinter tausend Masken, aber lügen, nein … das hat er nicht nötig. Ich habe es nur selten erlebt, dass er nicht bekam, was er sich wünschte – sehr selten, um genau zu sein. Jetzt bist du sein Ziel geworden, und er wird alles tun, um dich auf seine Seite zu bringen.« Er betrachtete die Geige, in der Kaya noch immer regungslos zu ihm aufschaute. »Yrphramar war ein kluger Engel, einer von den besten. Nicht umsonst wurde er in all den Jahren zu einem meiner Freunde, und davon habe ich nicht viele. Er hat dir die Geige nicht grundlos überlassen. Hast du dich nie gefragt, warum du so hervorragend auf ihr spielen kannst? Nein, das hat mit Kaya und eurer Freundschaft nichts zu tun. Dieses Instrument ist eine Teufelsgeige. Sie wurde aus dem Holz der Arponen gefertigt, jenen Bäumen, die der Sage nach am Evron wachsen, dem Fluss, der die Unterwelt durchzieht und das Reich der Engel vom Herrschaftsgebiet der Dämonen trennt. Nur ein Wesen, das Magie in seinen Adern trägt, vermag es, auf ihr zu spielen – doch zur Vollkommenheit bringen es nur wenige: Man nennt sie die Teufelsgeiger, jene Musiker, die der Macht des Instruments gewachsen sind.«
    Nando konnte sich einer gewissen Ehrfurcht nicht erwehren, als er den Blick über die Violine schweifen ließ. »Teufelsgeiger«, wiederholte er. »Was bedeutet das?«
    » Es ist, als würde man auf einem Drahtseil stehen «, erwiderte Drengur, und für einen Moment drang Yrphramars Stimme durch seine Worte, so deutlich und klar, dass Nando überrascht den Kopf hob. Wie oft hatte sein alter Freund dies zu ihm gesagt, wie oft hatte er dabei gelächelt, traurig und glücklich zugleich. Drengur nickte, als hätte er Nandos Gedanken gelesen, und fuhr dann fort: »Yrphramar sagte einmal zu mir: Ich trage eine große Dunkelheit in mir, die Finsternisse all jener, die ich vernichtete. Ich kämpfe und jage im Dienst der Freiheit – nicht im Dienst der Furcht. Deren Dunkelheit ist nichts als Schuld, ich weigere mich, sie zu tragen. Und das hat er getan. Dennoch stand er als Dämonenjäger nicht nur auf der Seite des Lichts. Er kannte die Finsternis gut. Wie die Klänge dieses Instruments steht auch ein Teufelsgeiger für immer zwischen Licht und Schatten, ohne dass eine Seite dauerhaft überwiegen würde. Er kennt das Licht ebenso wie die Dunkelheit und er vermag es, beides zu beherrschen, da er beidem gehört. Du bist der Sohn des Teufels, Sohn eines Engels, der vom Himmel fiel, Sohn Luzifers, des Lichtbringers, der nun im tiefsten Schlund der Hölle residiert und das Licht in sich selbst in schwärzeste Finsternis gehüllt hat. Doch vernichten kann er es nicht, ohne sich selbst zu zerstören, ebenso wenig, wie er den Schatten in seinem Inneren zerreißen kann. Er steht dazwischen – genauso wie du.«
    Nando betrachtete seine Geige, und auf einmal hörte er die Melodie, die er vor dem Nebel der Ovo gespielt hatte, durch seine Gedanken wehen. »Je stärker ich werde, desto größer wird auch die Gefahr, die von mir ausgeht«, sagte er leise. »Das bin ich doch, nicht wahr? Eine Gefahr.«
    Drengur nickte langsam. »Ja, das bist du, wie jedes Wesen, das über große Macht gebietet. Du wirst zeit deines Lebens zwischen Licht und Finsternis stehen. Du wirst zwischen den Welten stehen, immer, und stets Auge in Auge mit der Gefahr, in die Dunkelheit zu stürzen oder vom Licht verzehrt zu werden. Dein Weg wird von Einsamkeit bestimmt sein, der Einsamkeit jener Wesen, die wahrhaft einzigartig sind auf der Welt. Mit dieser Einsamkeit wirst du leben, in ihrer Stille wachsen oder an ihr verzweifeln, aber sie ist ein Teil von dir, von nun an bis zu deinem Tod.«
    Nando wandte den Blick, und auch wenn er den Nebel der Ovo nicht sehen konnte, tauchte vor seinem inneren Auge doch die Gestalt Olvryons auf und das Geräusch gefrierender Tränen. Er wusste, dass Drengur recht hatte mit allem, was er sagte, und eine seltsame

Weitere Kostenlose Bücher