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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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den anderen beiden Engeln die Straße herunter, die sie mit Bannschnüren gefesselt und geknebelt hatten.
    »Warum töten wir sie nicht?«, fragte der eine und stieß einen der halb bewusstlosen Engel vor sich in den Staub. Sein Blick fiel auf Avartos, der keuchend zu sich kam. Mehrere Heilungszauber fluteten dessen Leib, und seine Wunde begann sich langsam zu schließen.
    Stöhnend kam Antonio auf die Beine, erst jetzt sah Nando, dass auch er eine schwere Wunde erlitten hatte. Blut sickerte durch sein Wams, doch er winkte ab, als Nando ihm helfen wollte. »Wir sind keine Mörder ohne Gewissen«, sagte Antonio. »Im Gegensatz zu ihnen.«
    Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging langsam die Straße hinunter. Nando folgte ihm und auch die anderen Nephilim eilten ihm nach.
    »Narr von einem Engel!«, rief Avartos da so laut, dass sie herumfuhren. Er versuchte vergebens aufzustehen, erneut strömte Blut aus der Wunde in seiner Brust, und es gelang ihm nicht, ihnen einen Zauber hinterherzuschicken. Nichts als eine taumelnde Feuerspirale schlug einige Schritte entfernt vor Antonios Füßen ein.
    »Du hast dir Teufelsbrut ins Haus geholt!«, rief Avartos mit vor Zorn bebender Stimme und streckte die Faust nach Antonio aus. »Bald schon wird er auf der Seite Luzifers stehen! Einst warst du einer der mächtigsten Engelskrieger, einst warst du wie ich, Antonio Narrentum, und du weißt es! Du erinnerst dich gut daran! Aber du hast deinen Weg verloren, du folgst den Pfaden jener, die sich um den Fürsten der Hölle scharen, weil du dich vor dem Abgrund fürchtest, der in dir liegt! Doch das ist kein Abgrund, das sind wir – Geschöpfe der Ewigkeit jenseits der Dunkelheit!«
    Nando konnte sich nicht von Avartos abwenden, und er schauderte, als er den Engel mit vor Erschöpfung und Wut zitternder Faust sah. Ein Schatten lag in seinen Augen, etwas wie Sehnsucht und Hilflosigkeit.
    Antonio trat einen Schritt auf Avartos zu, langsam und behutsam, als näherte er sich einem verwundeten Tier. Er erschuf einen Bogen in seiner Hand und legte einen Pfeil aus weißem Licht an die Sehne.
    »Es gab eine Zeit, da war ich wie du«, erwiderte er ruhig. »Und ich erinnere mich tatsächlich gut daran. Doch frage dich, Engel höchsten Ranges, was in dir ist es, das dir diesen Rang verleiht? Was ist es, das dich von jenen in der Hölle unterscheidet? Was ist es, das dich am Leben hält in den dunklen Nächten in der Kälte deines Geistes? Warum beschützt du die Menschen? Weil sie dir Antwort geben, dir oder dem jämmerlichen Rest jener Wahrheit, die du in dir verbirgst, weil sie alles vernichten könnte, was du bist. Eines Tages, das steht außer Zweifel, wirst du sie erkennen, und du wirst sehen, dass dein größter Wert mehr ist als die Kälte deines Geistes und Augen aus Gold und Farben.«
    Lautlos glitt Antonios Pfeil durch die Luft. Nando sah noch den staunenden Ausdruck in Avartos’ Blick, dann durchbohrte die Waffe dessen Brust. Der Betäubungszauber wirkte sofort. Avartos’ Augen drehten sich nach oben, er sackte zur Seite und blieb reglos liegen.
    Gemeinsam verließen sie die Siedlung der Varja, schweigend und in Gedanken versunken. Antonio stützte sich auf Nandos Schulter wie ein alter Mann, während die anderen Nephilim vorausgingen. Immer wieder hielt Antonio inne, seine Finger schlossen sich um Nandos Schulter, als hätte er Schmerzen. Schließlich nickte er wie in Gedanken und zog seine Hand zurück, um seinen Weg allein fortzusetzen. Nando betrachtete ihn von der Seite. Erstmals, seit sie sich kannten, fühlte er Antonios wahres Alter, und er spürte die Einsamkeit, die in diesen Momenten aus den Augen des Engels strömte und von niemandem zu durchdringen war, nicht einmal von seinem eigenen Willen. Es war die Einsamkeit eines Kriegers, der unzählige Schlachten geschlagen hatte, die Einsamkeit eines Unsterblichen im ewigen Wandel der Zeit und die Einsamkeit eines Engels, der jenseits seines Volkes leben musste und sich danach sehnte, es in der Dunkelheit erreichen zu können – wohl ahnend, dass dies unmöglich war.

28
    Den Ereignissen in der Siedlung der Varja folgten einige Tage ohne Trainingseinheiten und Unterricht. Sämtliche Prüfungsanwärter hatten von Antonio speziell auf sie abgestimmte Formelsammlungen zu wichtigen Teilgebieten der magischen Künste bekommen, und die Tische und ledernen Sofas in der Bibliothek der Akademie wurden von lernwilligen Novizen bevölkert. Nando hatte während seiner gesamten

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