Nephilim
hatte, als er seinen Drachen über die Nephilim gebracht hatte. Sie hatten alles zerstört, sie hatten ihn an diesen Punkt getrieben, und wieder spürte er den Zorn in sich aufwallen. Er würde sterben, wenn er den Pakt mit dem Teufel verweigerte, das wusste er. Die Nephilim würden ihn ausliefern, denn selbst Antonio konnte sich nicht gegen den Willen und die Furcht Bantoryns zur Wehr setzen. Möglicherweise würde ihm die Flucht gelingen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis Bhrorok ihn finden würde. Und neben diesen Tatsachen, die Nando in seinen Gedanken hin und her drehte, standen die Worte Luzifers und die bestechende Lockung, diesem Ruf zu folgen. Tu, was du willst! Nando holte Atem, Ascheflocken wehten in seinen Mund. Sie schmeckten bitter, doch er merkte es kaum. Er war der Sohn des Teufels. Was hielt ihn zurück, seinem Vater zu folgen?
Wie aus weiter Ferne drang Gesang an sein Ohr, der Gesang der Ovo und der Galkry, und blutroter Mohnstaub breitete sich langsam über der schwarzen Asche aus. Sei, der du bist! Er ging in die Knie, nachdenklich grub er seine Finger in die Asche – und als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen, schoss ein Bild durch seine Faust bis in seinen Kopf, wo es so gleißend und deutlich erschien, dass er nichts anderes mehr wahrnahm als dies: Er sah einen Nephilim, er erinnerte sich an ihn, es war einer von jenen, die ihn hatten ausliefern wollen. Nando sah ihn kniend am Ufer eines Meeres, er hielt einen Sterbenden in seinen Armen, Nando wusste, dass es sein Sohn war. Der Nephilim hatte den Mund zu einem lautlosen Schrei aufgerissen, sein Sohn atmete pfeifend in seinen Armen, seine Haut wurde bleich, er wollte Luft holen, doch seine Lunge versagte. Im selben Moment wandte er den Blick und schaute Nando an, und wie in einem plötzlichen Gewitter sah Nando Silas vor sich, sah ein junges Mädchen mit flachsblondem Haar, sah Männer und Frauen und Kinder, alle, die seit der Verfolgung der Nephilim durch die Engel gestorben waren, alle, die die Finsternis der Unterwelt nicht mehr ertragen hatten, alle, die an der Einsamkeit ihrer Flucht zerbrochen waren. Er sah in ihre Gesichter im Moment ihres Todes, und mit jedem Blick, mit jedem letzten Atemzug zerbrach eine der Masken aus Panik und Hass, die er in seiner Erinnerung vor den Gesichtern der Nephilim auf dem Markt der Zwölf sah. Schmerz lag dahinter, Trauer und Sehnsucht, und die Augen, in die er nun schaute, waren gezeichnet von Dunkelheit. Nando kannte diese Finsternis, er hatte sie selbst erlebt, jedes Mal, wenn er an seine Eltern dachte, jedes Mal, wenn er sich in eine Welt zurücksehnte, die es für ihn nicht mehr gab, und obgleich er ihren Anblick kaum ertrug, wandte er sich nicht ab. Atemlos ließ er den Rausch der Bilder über sich ergehen, und erst als das letzte Gesicht in die Finsternis fiel, schloss er die Augen.
Er hörte die Gesänge der tausend Stimmen nicht mehr, und er spürte nicht den Wind, der über das Feld aus Asche glitt. Alles, was er wahrnahm, war der Duft des Mohns, samten und verzweifelt, und er sog sich die Lunge voll mit diesem Geruch, bis er sicher war, ihn niemals wieder zu vergessen. Dann öffnete er die Augen und erhob sich.
Luzifer stand unverändert da, sein Blut lief in feinem Rinnsal über seine Hand und tropfte in die Asche zu seinen Füßen.
Du hast dem Teufelssohn ein Angebot unterbreitet , sagte Nando leise. Du hast ihm die Wahrheit gesagt, du hast nicht versucht, ihn mit Finten und Lügen zu übertölpeln. Dein Angebot ist gut, es mag sogar wie die einzige Wahl erscheinen, die der Teufelssohn jetzt noch hat. Und doch muss ich es ausschlagen, denn dies … Er hob die Arme und blickte über das Feld aus Asche. Dies bin ich nicht.
Luzifer zog die Brauen zusammen. Warum denkst du das?
Nando lächelte kaum merklich und erwiderte leise: Weil ich es nicht will.
Etwas wie Erstaunen flammte über das Gesicht des Teufels und machte seine Züge ganz jung.
Dann, mein Sohn , raunte er, und ein Ausdruck wie Traurigkeit lag in seiner Stimme , wirst du sterben.
Gleich darauf brach die Dunkelheit durch das Gold seiner Augen, sein Gesicht wurde hart und kalt. Er ballte die Faust und riss sie empor, und der Traum um Nando herum zerbrach. Asche flog durch die Luft. Sie verschluckte die Gestalt des Teufels und drang in Nandos Lunge, bis er hustend die Augen aufschlug.
Schwer atmend kam er zu sich. Er lag auf dem Fußboden vor der Pritsche. Noch immer schmeckte er die Ascheflocken auf seiner
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