Nephilim
Zunge, sah die verbrennenden Nephilim und hörte ihre Schreie in Todesfurcht, während ihre Bilder durch sein Innerstes rasten und ihn zittern ließen. Ein heftiger Schmerz durchzog seine Brust, er krümmte sich zusammen und schlang die Arme um seinen Leib, und dann, lautlos und einsam in der Dunkelheit, weinte er.
31
Nando hielt den Kopf gesenkt, während er von Salados in das Rund des Amphitheaters geführt wurde. Erst das Raunen ließ ihn aufsehen, das wie eine Welle aus Gift aus den Rängen zu ihm herabbrandete. Die Senatoren wirkten in ihren Kutten zwischen den Glutbäumen wie Raben und Krähen. Er spürte ihre Blicke, als würden sie sich an seine Beine klammern und ihm jede Bewegung schwerer machen, und obgleich er sich bemühte, nicht auf ihre Worte zu achten, hörte er doch die Anspannung darin, als würde er jeden Augenblick die Faust heben und sie alle vernichten. Er drängte die Erinnerungen an seinen Traum zurück, doch die Kälte blieb in seinem Magen und wurde verstärkt durch die Übelkeit, die der Bannzauber auf seiner Stirn verursachte. Er wusste, dass Salados nichts Unrechtes tat, wenn er seine Kräfte unter diesen Umständen bannte, und doch meinte er, ein selbstgerechtes Lächeln in den Augen des Senators erkannt zu haben, als er seinen Zauber mit Anbruch des Abends erneuert hatte.
Nando wandte den Blick und sah, dass sich die Bewohner Bantoryns nicht nur auf dem Sternenplatz vor dem Mal’vranon und den Plattformen der umliegenden Türme versammelt hatten. Auch in den Gassen rings um die Akademie hatten sich unzählige Nephilim zusammengefunden, um der Entscheidung des Senats beizuwohnen. Auf schwebenden Leinwänden wurden sie über alle Ereignisse im Theater informiert. Fackeln und Laternen erhellten die Orchestra, auf der ein Podest aus schwarzem Holz errichtet worden war. Mehrere Stühle standen dort, auch diese Plätze waren bereits besetzt, und Nandos Herz machte einen Sprung, als er Antonio in ihrer Mitte bemerkte. Sein Mentor sah ihm entgegen, ein schwaches Lächeln lag auf seinen Lippen, doch seine Wangen waren eingefallen wie nach einer langen Krankheit, und seine Augen schienen gänzlich schwarz geworden zu sein. Vollkommen regungslos saß Antonio auf seinem Platz, von den Stimmen und Gesten der Senatoren umtost wie ein verwitterter Felsen im Sturm, und schaute Nando an, als könnte er auf diese Weise seine Gedanken erahnen. Nando erwiderte sein Lächeln, aber es verrutschte auf seinen Lippen.
Schweigend ließ er sich von Salados zu einem Stuhl vor dem Podest bringen und nahm darauf Platz, dicht bei dem grünen, leicht glimmenden Stein, der sich noch immer wie ein Dorn aus dem Mosaik der Spielfläche erhob. Salados betrat das Podest, wortlos ließ er sich neben Antonio nieder und begann, leise mit ihm zu sprechen. Nandos Blick glitt auf die Dächer Bantoryns hinab, die sich unter ihm ausbreiteten wie ein Meer aus Licht und Dunkelheit. Vor nicht allzu langer Zeit waren die Funken des Drachen auf diese Dächer hinabgefallen, der ihm in seinem Traum erschienen war und auch einen Platz in der Stadt zierte. Dieser Drache war ein Sinnbild dessen, was die Engel jagten, der Teufel begehrte, die Nephilim fürchteten – er war das Zeichen des Teufelssohns, der er war.
Er wandte sich ab, doch die Bilder seines Traums kehrten zurück, sie flackerten hinter seiner Stirn, und er bemühte sich vergebens, ruhig zu atmen. Er suchte Antonios Blick, doch der Engel war in ein Gespräch mit Drengur vertieft, der zum Podest getreten war. Da bemerkte Nando Morpheus, der in seinem Rollstuhl nahe dem Eingang saß und freundlich zu ihm herüberschaute. Er neigte kaum merklich den Kopf, ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen und verlieh seinem Gesicht für einen Moment den schalkhaften Ausdruck eines Kobolds, der lieber Streiche und andere Teufeleien aushecken würde, als in einem staubigen Theater herumzusitzen. Nando erwiderte das Lächeln, und im selben Moment zerbrachen die Erinnerungen an seinen Traum und zogen sich als geisterhafte Schemen an den Rand seines Bewusstseins zurück.
Da ging ein Raunen durch die Reihen, das Gemurmel auf dem Sternenplatz und auf den umliegenden Türmen verstummte. Hoheitsvoll erhob sich Antonio und trat in die Mitte des Podestes.
»Senatoren Bantoryns«, rief er und breitete die Arme aus. »Hüter der Gemeinschaft und Krieger der Schatten! Ihr alle wisst, aus welchen Gründen wir uns in dieser Stunde hier zusammenfinden. Ihr alle habt die Leichen der Engel
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