Nephilim
Najade preschte heran, doch gerade als ihr Eiszauber Nando in einer brachialen Welle zerquetschen wollte, sprang er hoch, riss den Dreizack aus dem Brunnen und schleuderte ihn auf seine Gegnerin. Er traf sie in die Brust, sie wurde vom Rücken ihres Hippokampos gerissen und schlug hart auf dem Boden auf. Das Tier fuhr herum, doch es stürzte aufgrund der Geschwindigkeit und überschlug sich, bis es mit gebrochenem Hals liegen blieb.
Die Najade atmete heftig. Vorsichtig trat Nando auf sie zu, er wusste, dass sie im Sterben lag. Ihre schwarzen Augen umfassten ihn mit ihrem Blick, noch einmal griff die Dunkelheit darin nach ihm, und kurz meinte er, ein Grollen zu hören von solcher Tiefe, dass es seinen Herzschlag für einen Moment aussetzen ließ. Er zog die Brauen zusammen, er kannte diesen Ton, und doch schien es ihm, als würde sich die Erinnerung vor ihm verbergen, als würde sie sich ihm entziehen, jedes Mal, wenn er kurz davorstand, sie zu packen. Die Najade lächelte, es war ein Lächeln ohne Zorn und Spott. Gleich darauf fühlte Nando ihren letzten Atemzug. Da versteinerte ihr Körper und zerbrach in Nebel und Schatten. Nando holte Atem. Er wusste, dass sie bereits wieder starr und steinern auf ihrem Brunnen stand, und dennoch – in ihren Augen hatte er den Tod gesehen. Er hatte die Furcht darin erblickt und die Kälte gefühlt, die er mit sich brachte. Vielleicht, so dachte er, war der Tod immer real – ob man ihn in der wirklichen Welt erlebte oder ob man ihn träumte, mehr noch: Vielleicht war der Tod immer ein Traum, der jede Wirklichkeit übertraf.
Ein Windhauch wie der letzte Atemzug der Najade streifte Nandos Wange, und er sah wieder die Schatten, die sich in den Gassen sammelten. Eiliger taten sie das, sie formten sich zu gierigen Mäulern und Klauen, die nach ihm griffen, doch gleich darauf lag die Finsternis so regungslos und gewöhnlich da, dass Nando zurückwich. Verlor er den Verstand? Er war in eine Traumwelt geraten, in ein Zwischenreich, in dem die Gesetze der Menschen keinen Bestand hatten. Er durfte es nicht riskieren, sich in Panik und Anspannung zu verlieren. Er zwang sich, tief Luft zu holen, und richtete seine Gedanken erneut auf sein Ziel. Er hatte Olvryons Spur verloren. Der Ovo würde ihm entkommen, wenn er ihn nicht bald stellte, das stand außer Frage. Er musste ihn finden – sofort.
Eilig breitete er seine Schwingen aus, erhob sich in die Luft und stürmte über die Häuser dahin, ehe er auf der Kuppel des Pantheons landete. Er schaute über die Dächer, soweit es ihm möglich war. Überall zogen sich Nebelbahnen durch die Straßen, ganze Viertel waren komplett in weißen Dunst gehüllt. Nando hörte nur mitunter die dumpfen Schreie einzelner Novizen. Leise sog er die Luft ein. Der Nebel drang in seine Lunge, und er schloss die Augen. In Gedanken ging er wieder durch den Nebel Bantoryns, hörte die Gesänge der tausend Stimmen, sah die Ovo zum ersten Mal tanzen, und er nahm Olvryon wahr, wie er zu ihm sprach, ein einziges Wort nur, aber genug, um den Klang seiner Stimme niemals mehr zu vergessen. Nando saß regungslos, doch er spürte, wie der Nebel ihn innerlich aufwühlte, wie er sich mit ihm verband und wie seine Sinne suchend und tastend durch den geisterhaften Dunst glitten auf der Suche nach jenem Wesen, das sich vor ihm verbarg. Im Geist tauchte er in die Stadt ein, eilte durch die Straßen, die Stimme Olvryons in jedem seiner Sinne, und als er die Spur fand, tat sein Herz einen Sprung. Er folgte ihr, so schnell er konnte, und da, witternd und unruhig, sah er Olvryon in der Nähe des Campo de’ Fiori. Gerade wollte Nando die Augen öffnen und seinen Geist in seinen Körper zurückzwingen, als der Ovo den Kopf hob und ihn direkt ansah. Ein Flackern ging durch seinen Blick, es spiegelte Erstaunen – und Kälte. Denn im selben Moment klang ein Dröhnen durch die Erde, Nando sah die Schatten, die sich um Olvryon auftürmten und auf ihn zustürzten, und er hörte ein Keuchen in einiger Entfernung und gleich darauf das dumpfe Beben eines schweren Körpers, der über Häuserdächer eilte.
Für einen Moment ließ der Schreck Nando die Kontrolle verlieren. Er hörte das Grollen erneut, das tiefe Dröhnen, das er beim Blick in die schwarzen Augen der Najade empfunden hatte, und während die Erkenntnis in ihm sich ihren Weg brach, raste er im Geist dem Wesen entgegen, das auf seinen Körper auf dem Pantheon zueilte. Die Häuserzeilen verschwammen zu Tunneln aus flirrenden
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